Elisabeth Deneke – Mit Mut und Herz

Von Dr. Ingo Reinhardt, Heidi Spenke und Sven Pleger

Elisabeth Deneke war eine Vöhrumer Persönlichkeit, die mit ihrem großen Wissen und Geschichten zu begeistern wusste. Einer ihrer ehemaligen Nachhilfeschüler, Ingo Reinhardt, hörte aufmerksam ihren interessanten Berichten aus vergangenen Zeiten zu und bewahrt auch ihre vielen Bücher in allen Ehren. Im Folgenden erzählt er aus ihrem Leben und zeigt mit welchem Mut und Gerechtigkeitssinn Elisabeth Deneke zur Zeit des Nationalsozialismus auch einer Konfrontation mit der Diktatur nicht aus dem Wege ging.

Zum Menschen Elisabeth Deneke:

Sie wurde im November 1916 als einziges Kind geboren. Ihre Eltern besaßen einen Halbspännerhof und bewirtschafteten die Gaststätte “Zum Deutschen Kaiser”, später “Deutsches Haus”, die 1932 vollständig abbrannte und kurz
danach wiederaufgebaut wurde. Heute ist dort die Einhorn-Apotheke und ein Versicherungsbüro untergebracht.
Elisabeth Deneke litt seit ihrer frühen Kindheit an einer Hüftgelenkentzündung, die seinerzeit nicht erfolgreich behandelt werdenkonnte. Ein verkürztes Bein führte zum ausgeprägten Hinken, das sie zeitlebens beeinträchtigte. Das später entwickelte Penicillin hätte Abhilfe schaffen können, sagte sie einmal. Elisabeth Deneke war eine sehr intelligente Frau. Sie fotografierte leidenschaftlich gern, und ihre Bücher waren das Wichtigste für sie. Infolge des Brandes und der immensen Wiederaufbaukosten blieb ihr das Abitur und ein mögliches Studium versagt. Sie wäre gern Lehrerin geworden – und hätte
diesen Berufsstand in ihrem möglichen Wirkungskreis mit Sicherheit enorm aufgewertet. So aber betrieb sie gemeinsam mit ihrer Mutter die Gaststätte bis zum Ende der 50er Jahre. Sie machte das Beste daraus. Die vielen Begebenheiten, die sie in wechselvollen Zeiten mit diversen Gästen erleben durfte, regten immer wieder ihre Wissbegierde an – die Gaststätte als Kommunikationszentrum. Das viele Lesen war bei einem hochbegabten Menschen wie ihr eine Folge daraus. Eines ihrer Fotoalben trägt übrigens die Überschrift “Meine Lieblinge”, mit denen sie ihre Gäste meinte. In späteren Jahren gab Elisabeth Deneke vielen Vöhrumer Schülern Nachhilfeunterricht. Sie tat das nicht zum reinen Selbstzweck, sondern aus einer inneren Berufung. Das war vor allen Dingen daran zu merken, dass sie beim gemeinsamen Lernen eine große Begeisterung entwickelte und sich nicht zu schade war, selbst immer wieder Fragen zu stellen. Es war unheimlich faszinierend, dass sie keine Mittel scheute, den Dingen bis zum letzten Detail auf den Grund zu gehen. Ich glaube, das ist eine sehr wertvolle Tugend, die sie mir vorgelebt hat.
Im Dritten Reich hatte sie sich aufgrund ihrer eigenen Gehbehinderung gegen einen Erlass zur sogenannten Schülerauslese schriftlich zur Wehr gesetzt. Die Abteilung für das höhere Schulwesen der Provinz Hannover sah sich daraufhin zu einer Richtigstellung veranlasst. Sogar seitens des Reichserziehungsministers wurde die Schülerauslese in einem späteren Zeitungsartikel präzisiert. Mit anderen Worten, es wurde massiv zurückgerudert – offenbar eine Folge des Protestes, den auch dieser mutige Brief bewirkt hat.
Das Fazit ihres Briefes ist, dass Mut gepaart mit gesundem Menschenverstand gegen unsinnige Erlasse in jenen unheilvollen Zeiten doch nicht so erfolglos waren – wie aus der Sicht von heute viel zu oft der Anschein geweckt wird.

Ihre Bücher, die sie mir vermacht hat, werde ich – solange ich lebe – wie einen Augapfel hüten. Auch ihre meistens auf einer halben DIN-A4 mit Schreibmaschine getippten Kommentare habe ich in einem extra Ordner abgeheftet.

Ingo Reinhardt, November 2008

Brief der Elisabeth Deneke an den Reichsminister Rust:

Vöhrum, d. 27. März 1935

Sehr geehrter Herr Minister Rust!

Die Peiner Zeitung vom 26. März veröffentlicht einen Auszug aus Ihren Verfügungen über Schülerauslese. Diese Verfügungen halte ich für sehr unüberlegt, sonst müsste ich sie schon missverstehen. Daher bitte ich Sie, wenn es Ihnen möglich ist, mich zu belehren. Damit Sie wissen, was mir nicht klar ist, möchte ich den Satz herausschreiben, den ich nicht nur hart sondern ungerecht finde.
Da heißt es: „…, dass Jugendliche mit schweren Leiden, durch die die Lebenskraft stark herabgesetzt ist und deren Behebung nicht zu erwarten ist, sowie Träger von Erbkrankheiten nicht geeignet sind, und daher nicht in die höhere Schule aufgenommen werden können.“
Nun frage ich Sie, was sollen diese armen Menschen denn eigentlich anfangen? Wenn sie ein schweres körperliches Leiden haben, dann können sie wahrscheinlich kein Bauer oder Schmied oder Tischler werden.
Ist es nicht ein Glück, wenn solche Menschen geistig begabt sind? Sie haben dann aber auch das Recht oder sogar die Pflicht, ihre Gaben zu gebrauchen und auszubilden und sich damit durchs Leben zu schlagen. Wenn ihnen aber die Möglichkeit genommen wird, etwas zu lernen, sollen sie dann dem Staat zur Last fallen oder verhungern, oder sollen sie sich am nächsten Baum aufhängen oder gar aufhängen lassen?
Wenn mir die armen Wesen nicht leid tun würden, dann möchte ich Ihnen wünschen, dass Sie an Ihren Kindern erleben, was es heißt „Jugendliche mit schweren Leiden“.
Über Krankheit ist keiner erhaben. Vielleicht haben Sie schon etwas von Kinderlähmung gehört, und vielleicht wissen Sie, dass diese Krankheit selbst die Kinder eines Reichserziehungsministers befallen kann. Stellen Sie sich mal vor, Ihre Kinder wären begabt, würden aber krank und dürften darum nicht in der höheren Schule aufgenommen werden.
Außerdem kann ein Mensch mit einem körperlichen Leiden für sein Vaterland genauso wertvoll sein wie ein gesunder. (Siehe Dr. Goebbels, der doch an einer sehr sichtbaren Fußerkrankung leidet.) Müssen Sie nicht einen Menschen mit anständigem Charakter, der aber zufällig durch Unglücksfall oder durch Krankheiten (wie z. B. Kinderlähmung) mit krummen oder ungleichen Beinen rumläuft oder sich dadurch nicht selbst helfen kann, viel eher achten als einen, der gesunde Knochen hat und Sport treiben kann, der aber für seinen kurzen Augenblick des Genusses sein Vaterland verrät.

Dieses alles schreibe ich natürlich nicht nur aus Nächstenliebe, sondern ich selbst fühle mich getroffen, denn die Folgen meiner Hüftgelenkentzündung fallen ebenfalls unter den Teil des Satzes: „…, deren Behebung nicht zu erwarten ist“. Ich muss nämlich mein ganzes Leben lang hinken. Ich weiß aber, dass ich trotzdem ein ebenso wertvolles Mitglied des Staates bin wie jedes andere Mädel in meinem Alter, und ich weiß auch, dass ich mit derselben Berechtigung unser Lyzeum in Peine besucht habe wie alle meine Mitschülerinnen, trotzdem ich keinen Sport treiben konnte.

Falls Sie es nicht für richtig halten sollten, mir Auskunft zu geben, bitte ich Sie, mir mitzuteilen, ob mein Brief angekommen ist, und ob unser Führer und Reichskanzler Hitler Ihren Erlass bestätigt hat.

Mit Heil Hitler

Elisabeth Deneke
18 Jahre alt

Meine Adresse:
Elisabeth Deneke
Vöhrum 10
Peine Land
Prov. Hannover

Die Antwort aus der Abteilung für das höhere Schulwesen, Hannover im Mai 1935:

Deneke – Antwort der Abteilung für höhere Lehranstalten