Dat Swäineslachten un de Bärentrecker – Das Schweineschlachten und der Bärenzieher

Von Waltraud Balandis

Eine wahre Begebenheit

Foto: Schlachtefest auf Niebuhrs Hof (Nr. 17)

Eine wahre Begebenheit aus den Jahren um 1920, erzählt von Willi Niebuhr aus Vöhrum, geboren 1910. Der Niebuhrsche Hof, mit dem Beinamen „Stelbers Hoff”, befindet sich „Im Winkel”, Breite Straße 17, heute Kirchvordener Str. 17. Aufgeschrieben im Vöhrumer Platt von seiner Tochter Waltraud Balandis, geborene Niebuhr.

Für alle, die das Vöhrumer Platt nicht so gut verstehen, daneben die Übersetzung.

Dat Swäineslachten un de Bärentrecker

Düsse Geschiche un noch ‘n poor andere hat mäin Voder sa manchet Mol vertellt. Ta de Goldene un de Diamantene Hochtäit von Irma un Willi Niebuhr (de Äiserne hett se uck noch erliebet), häbbe ick denne ne andere Oart von Hochtäitszeitunge emoket un ein betschen dovon in Platt uppeschrieben, wat mäine Öldern sa in ühre Kindertäit beliebet hätt. Wörr doch schode, wenn sawatt eines Doges vergetten is, et is doch sotaseggen ein Stücke „Vührmsche Zeitgeschichte“.

Nau gaht dat luus!

Freuher, wie mäine Öldern noch Kinder wörrn, tugen manichmol Bärentreckers dur de Dörper. Dat was ein Musikante, de herr ein gruten Bären bäi sick, dene hei an ein dicken Stricke hinder sick herlupen leit. De Musikante moke Musäike up sa eine Oart Tamburin, ne Trummel mit ne Glocke doanne. Hei sleig den Takt un de Bär mösste dota danzen. Dat was, wie sick woll jeder vorstellen kann, ne schüne Belustigunge forr de Dörpbewuhners, mol ne Affwesselunge in den grauen Alldag. Besönners de Kinder freuen sick bannich uber dütt Schauspiel.

Et was ein schünen Herbstdag un mäin Voder, Stelbers Willi, was mit säin gruten Braer Otto un ne ganze Schor Nohberskinder up ausen Hobbe „in Winkel“ in Vührm bäin Spielen. Sei spielen „Swäineslachten“. Den Gewichtigsten von allen, den dicken Gerbings Hermann, wurd ein Strick um de Beine ebunnen, un alle tahupe büren se ühne huch. Denne hängen se ühr „Swäin“ butten undern Wogenschauer mit’n Koppe no unnen an eine Wogenrunge up, dat was ein dicken Balken mit ein gruten Äisenhoken doanne.

Do hüren se up ein Mol Musäike. “Dat mott de Bärentrecker wesen, de Bärentrecker is in Dörpe!“ reipen de Kinder ganz uppgereget un rennen uck all lus. Raut aut’n Winkel, un do kamm de Musikante mit säin Bären uk all um de Ecke. Et härrn sick all ’ne Masse Kinder un annere Löie aut Vührm den Bärentrecker dota gesellt, un de Kinderschor von Stelbers Hobbe riege sick in dat Spektokel in. Sei härrn beistigen Spoß, sa wat gaff et jo nich alle Doge. Ein ganzet Stücke leipen se noch hinder den Bären dur und fungen an mitte ta  ta danzen, et was ta schüne. Up einmol full Willi mit’n Ruck dat „Swäin“ wier in. „Wäi mött tarügge, wäi mött tarügge, ause „Swäin“ hängt jo noch an den Hoken!“ reip hei ganz upgebracht. Sa hille wie et ging, jachterten se alle wier no Stelbers Hobbe hen. Do hänge de dicke Hermann, ganz blaue was de arme Bengel all in säin Gesichte. Tan Glücke härr Otto säin Taschenmest in de Husentasche un snatt dat „Swäin“ hille lus. De annern Kinder hulen Hermann wisse un stellen ühne wier richtig erumme up säine Beine. Tairst was hei noch ein betschen duselig, ober sa bäi lütschen kamm Hermann wier tagange. Hei  schörre sick, schimpe mächtig lus un sä: „Dat well ick jück seggen, ick häbbe de Näse vull. Bäin nächsten Mole is ober wer anners an de Riege un spielt dat Swäin!“

De Spielkameroden stunden um Hermann erumme un mössten jo bäinoh uber ühne lachen, ober denne keiken se doch lütschig bedröppelt. Dat härr uck in’t Uge gohn können. Wat ein Glücke, dat ühr „Swäin wier up en Damme was.

Waltraud Balandis

Das Schweineschlachten und der Bärenzieher

Diese Geschichte und noch ein paar andere hat mein Vater so manches Mal erzählt. Zur Goldenen und Diamantenen Hochzeit von Irma und Willi Niebuhr (die Eiserne haben sie auch noch erlebt) habe ich dann eine andere Art von Hochzeitszeitung gemacht und ein bisschen davon in Plattdeutsch aufgeschrieben, was meine Eltern so in ihrer Kindheit erlebt haben. Es wäre doch schade, wenn das eines Tages alles vergessen wäre, es ist ja sozusagen ein Stück Vöhrumer Zeitgeschichte.

Nun geht´s los

Früher, als meine Eltern noch Kinder waren, zogen manchmal Bärenzieher durch die Dörfer. Das war ein Musikant, der eine großen Bären dabei hatte, den er an einem dicken Strick hinter sich herlaufen ließ. Der Musikant machte Musik auf einer Art Tamburin, einer Trommel mit einer Glocke daran. Er schlug den Takt und der Bär musste dazu tanzen. Das war, wie sich jeder vorstellen kann, eine schöne Belustigung für die Dorfbewohner, mal eine Abwechslung im grauen Alltag. Besonders die Kinder freuten sich sehr über dieses Schauspiel.

Es war eine schöner Herbsttag und mein Vater, Niebuhrs (Stelbers) Willi, war mit seinem älteren Bruder Otto und einer ganzen Schar Nachbarskinder auf unserem Hof „im Winkel” in Vöhrum beim Spielen. Sie spielten „Schweineschlachten”. Dem Gewichtigsten von allen, dem dicken Hermann Gerbing, wurde ein Strick um die Beine gebunden, und alle zusammen hoben ihn hoch. Dann hängten sie ihr „Schwein” draußen unter dem Wagenschauer mit dem Kopf nach unten an einer Wagenrunge auf. Das war ein großer Eisenhaken an einem dicken Balken.

Da hörten sie auf einmal Musik. „Das muss der Bärenzieher sein, der Bärenzieher ist im Dorf!” riefen die Kinder ganz aufgeregt und rannten auch schon los. Raus aus dem Winkel, und da kam der Musikus mit seinem Bären tatsächlich auch schon um die Ecke. Es hatten sich bereits viele Kinder und andere Leute aus Vöhrum dem Bärenzeiher dazugesellt und die Kinderschar von Niebuhrs Hof reihte sich in das Spektakel ein. Sie hatten riesigen Spaß, sowas gab es ja nicht alle Tage.Ein ganzes Stück liefen sie auch noch hinter dem Bären her und fingen an mitzutanzen, es war zu schön. Auf einmal fiel meinem Vater mit einem Ruck das „Schwein” wieder ein. „Wir müssen zurück, wir müssen zurück, unser Schwein hängt ja noch am Haken!” rief er ganz aufgebracht. So schnell die Kinder konnten, hetzten sie alle wieder zu Niebuhrs Hof zurück. Da hing der dicke Hermann, ganz blau war der arme Bengel schon im Gesicht. Zum Glück hatte Bruder Otto ein Taschenmesser in der Hosentasche und schnitt das „Schwein” schnell wieder los. Die anderen Kinder hielten Hermann fest und stellten ihn wieder richtig herum auf seine Beine. Zuerst war ihm natürlich noch ein bisschen schwindelig, aber so langsam kam Hermann wieder zu sich. Er schüttelte sich, schimpfte sehr und sagte: “Das will ich euch sagen, ich habe die Nase voll. Beim nächsten Mal ist aber ein anderer an der Reihe und spielt das Schwein.

Die Spielgefährten standen um Hermann herum mussten ja fast über ihn lachen, aber dann guckten sie doch ziemlich betroffen. Das hätte auch ins Auge gehen können. Was für ein Glück, dass ihr „Schwein” wieder putzmunter war!

Waltraud Balandis