Was ist die Realgemeinde Vöhrum?

Von Otto Niebuhr

Vorwort der Redaktion:

Das Wort Realgemeinde und andere damit in Verbindung stehende Worte
entstammen einem Vokabular, das ohne fachkundige Erklärungen Rätsel aufgibt.
Wer sich schon mal gefragt hat, was sich dahinter verbirgt, erhält mit der
folgenden Niederschrift des Vortrages von Otto Niebuhr, dem ehemaligen
Vorsitzenden des Realverbandes Vöhrum, Einblick in dieses interessante
Aufgabengebiet. Der Vortrag wurde anlässlich des 2. Männerfrühstücks
am 14. Februar 2009 im ev. Gemeindehaus gehalten.
In diesem Artikel werden noch Bilder und Karten veröffentlicht sowie sie vorliegen.

Alle Bilder: © DigAV Sven Pleger – Heimat- und Kulturverein

Realgemeinde Vöhrum

An den Hauptwegen, die in die Vöhrumer Feldmark führen, stehen Verkehrsschilder mit Fahrverboten für Kraftfahrzeuge und Motorräder (Anlieger frei). Darunter sind noch kleine Zusatzschilder angebracht, die auf die Eigentumsverhältnisse aller Feldwege hinweisen sollen.
Meine Überlegung dabei war, darauf aufmerksam zu machen, dass nicht die
Gemeinde Vöhrum bzw. jetzt die Stadt Peine für die Wege in der
Gemarkung Vöhrum zuständig ist, sondern der Realverband Vöhrum
(vollständiger Name ist: Verkopplungsinteressentenschaft Vöhrum).
Sicherlich wird sich schon so mancher gefragt haben: Was ist eigentlich ein
Realverband?
Im Realverband sind die Grundstückseigentümer in dem festgelegten
Verbandsgebiet zu einer Art Genossenschaft zusammen geschlossen.
Zunächst aber noch ein kleiner Ausflug in die Geschichte.
Die alten Realgemeinden gehen in ihrem Ursprung auf die alten Mark- und
Feldmarkgenossenschaften zurück. Sie gründeten sich auf Absprachen und
Verpflichtungen der Bauern des Dorfes zum Zwecke der Bewirtschaftung.
Es gab Absprachen über die gemeinsame Hütung des Viehs auf den Gemeinheiten
bzw. Allmende der Gemeinde (das waren der gemeinsame Wald, das gemeinschaftliche
Weideland und sonstiges Ödland). Es gab auch Regelungen über den Plaggen- und Bültenhieb (Plagge = ausgestochenes Rasenstück, Bülte = ausgestochenes Rasenstück aus dem Moor).
Schon vor 1800 wurde die Aufhebung der Gemeinheiten versucht, mit wenig Erfolg.
Für das Königreich Hannover wurde 1824/25 die Gemeinheitsteilungsverordnung
erlassen.
Aber erst durch ein Gesetz im Jahre 1842 wurde die Zusammenlegung der Felder
in die Wege geleitet. Mit der Durchführung dieses Gesetzes wurde die gewachsene
Ortflur zerstört und die Wirtschaftsform stark verändert (siehe Flurbereinigung
heute).
Die Rezesse und Karten über die Generalteilung, Spezialteilung und Verkopplung
mit ihren detaillierten Aufstellungen und exakt vermessenen Karten gaben ein
klares Bild der Vöhrumer Landwirtschaft und der Besiedelung dieser Zeit.
Am 11. Sept. 1865 wurde die Spezialteilung und Verkopplung der Feldmark Vöhrum
genehmigt. Und in Angriff genommen.
Zunächst mussten die Flächen der Besitzer in der Größe erfasst und nach dem Wert des Bodens eingestuft werden. Da die Böden hier doch recht unterschiedlich sind, wurden sie in 11 Güteklassen unterteilt und in Geldwert angegeben.
Der Kapitalwert für Ackerboden der Klasse 1 betrug 504 Mark = 1926 Mark/ha
(Klasse 11 noch 144 Mark/ha).
Der Wiesenboden wurde sogar in 15 Klassen eingestuft. Die höchste Klasse war
mit 3435 Mark/ha bewertet die niedrigste mit 144 Mark/ha. Hiermit sieht m an
den besonderen Wert einer guten Wiese zu der damaligen Zeit, sie war
Futtergrundlage fürs Vieh (heute ist die Wertigkeit umgekehrt).
Die gesamte Teilungsmenge betrug 1072 ha (davon waren 719 ha Acker).
Nach Abzug der Fläche für Wege, Gräben und Kuhlen (für Lehm, Ton und Kies)
wurden die Flächen verteilt auf 121 Beteiligte aus Vöhrum, 10 Nebeninteressenten
und 13 Auswärtige.
1870 wurden die Flächen an die Beteiligten der Verkopplung verteilt und im Jahre 1877 die neuen Koppeln als Eigentum übertragen (ähnlicher Verlauf wie auch heute).
Durch die Verkopplung entstand in Vöhrum eine moderne Blockflur, bei der alle
Äcker und Wiesen über Wege erreichbar waren. Diese Aufteilung ist auch heute
noch weitgehend erhalten.
In diese Zeit fällt auch der Beginn einer modernen landwirtschaftlichen
Entwicklung, wie z.B. das Legen von Drainagen um die staunassen Flächen zu
verbessern.
Der Kartoffelanbau wurde ausgedehnt und damit die Schweinehaltung.
1866 wurde die Zuckerfabrik in Peine gegründet. Die Zuckerrübe brachte eine
weitere Steigerung der Ackerproduktion und bessere Futtergrundlage für die
Rindviehhaltung.
Durch Zucht und bessere Haltungsbedingungen der Tiere kamen bessere Erfolge und
folglich auch Vergrößerungen der Bestände. Bald reichte der Platz in den
typischen Niedersachsenhäusern nicht mehr aus. Es folgten Anbauten im rechten
Winkel zur langen Diele für die Tiere und Bansenraum für Heu und Stroh darüber
(zu sehen bei den Höfen im Winkel u.a.).
Als Bedachung kam immer mehr das Ziegeldach, so dass 1868 von 165 Gebäuden nur noch 55 Häuser mit Stroh oder Reet gedeckt waren. Dadurch verringerte sich die Feuergefahr erheblich, die in den Jahrhunderten davor oft zu Großbränden führte.

Der Realverband

Ich komme zurück zum Realverband:
In Niedersachsen wurde 1969 ein Realverbandsgesetz erlassen, das den
Realverbänden eine klarere Rechtsgrundlage geben sollte. Die Realgemeinden
konnten jetzt nach diesem Gesetz ein Statut (Satzung) erhalten. Danach haben die Realverbände den Charakter einer juristischen Person des öffentlichen Rechts.
Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt mussten alle Interessentenschaften u.ä. Ein
Mitgliederverzeichnis und eine Aufstellung des Vermögens (Grundstücke) erstellen. Es konnte dann neu ein Verband nach neuem Recht gegründet werden mit Satzung und Wahl eines neuen Vorstandes.
Es begann für uns eine arbeitsreiche Zeit. Dankbar sind wir auch der damaligen
Vöhrumer Verwaltung (Kandelhardt, Dittombe) für ihre Unterstützung.
Da das Gebiet der Verkopplungsinteressenten auch die Dorflage von Vöhrum mit
erfasste, brauchten wir die Aufstellung aller Grundstückseigentümer mit
vollständiger Anschrift und ihrer Grundstücksgröße (mehrere Ordner).
Nach erfolgter Gründung und Anerkennung des neuen Realverbandes konnten wir die
geschlossene Ortslage durch öffentliche Bekanntmachung wieder aus dem
Realverband ausschließen. (Einwände kamen nicht!)
So wurden 1971/72 aus Fuchsberg- und Reiheleuteinteressenten die
Forstgenossenschaft I gegründet.
Aus den Backhaus- und Hainwaldinteressenten entstand die Forstgenossenschaft II.
Aus den Feldmarkinteressenten entstand die Verkopplungsinteressentenschaft
Vöhrum.
Die Gründung von 2 Forstgenossenschaften hat uns damals auch nicht gefallen.
Sie wurde uns aber aufgezwungen, weil die Mitglieder in der Forst I und Forst II
nicht ganz identisch waren.
Erst 2004 ist es gelungen, Forst I und Forst II zusammenzulegen zur
Forstgenossenschaft Vöhrum. Es wurde ein neuer Schlüssel gefunden zur
Angleichung der unterschiedlichen Werte:
Forst I = Anteile x 1, Forst II Anteile x 4.
Die jetzige Forstgenossenschaft Vöhrum hat etwa 66 Mitglieder, die
unterschiedliche Anzahl an Anteilen am Forstvermögen besitzen
(insgesamt 476 Anteile). Vorsitzender der Forstgenossenschaft ist
Hermann Stellfeldt.

Hainwald – Waldabteilungen und Waldanteile

Der Wald in Vöhrum umfasst ca. 46 ha und Sonstiges ca. 5 ha
[Abteilung 13 (Mittelteil) = 23 ha, Abteilung 6 (Bänke) = 4ha, Fuchsberg (24+25)
= 10 ha, Ecke Hain = 2 ha, kleiner Erlenkamp (Hämelerwald) = 4 ha, Mergelkuhle
(Neuanpflanzung) = 1,8 ha].
Diese Anteile können auch gehandelt werden, d.h., sie können verkauft und
vererbt werden. An die Anteile gebunden sind also auch die Rechte und Pflichten
der Mitglieder. (Stimmrechte, Anspruch auf Geld bei Auszahlungen, aber auch
Zahlung bei Geldmangel).
Bei den Realverbänden gibt es zwei wichtige Unterteilungen:
Erstens die Realverbände mit selbständigen Anteilen, wie hier in Vöhrum die
eben erwähnte Forstgenossenschaft. Ursprünglich waren diese Anteile Bestandteil
der Hofstelle, aber sie können davon losgelöst werden. Im Grundbuch erscheinen
sie nicht, das ist nicht vorgesehen.
Als zweites gibt es die Realverbände mit unselbständigen Anteilen. Die
Mitgliedschaft ist an das Grundeigentum gebunden.
Hier in Vöhrum ist es die schon erwähnte Verkopplungsinteressentenschaft Vöhrum. Das Vermögen besteht überwiegend aus Wegen und Gräben. 1973 wurde dieser Realverband nach dem neuen Gesetz neu ausgerichtet mit einer Satzung, Vermögensverzeichnis und Mitgliederverzeichnis.
Das Verbandsgebiet umfasst ca. 840 ha bewirtschaftete Fläche, zuzüglich der
Flächen im Eigentum des Verbandes (Wege, Gräben). Die Grenzen des Verbandes sind
in Karten genau festgelegt und entsprechen weitgehend den Grenzen der ehemaligen Gemeinde Vöhrum. Mitglied ist jeder, der Fläche im Verbandsgebiet hat. Es hat Verbandsanteile entsprechend seiner Fläche, wie auch das Stimmrecht darauf beruht.
Der Vorstand hat das Verbandsvermögen zu verwalten und für die Instandsetzung
der Wege und Gewässer zu sorgen. Dafür wird auch Geld benötigt und das erhalten
wir jährlich von unseren Mitgliedern in der Höhe von 6,-€ je ha.
Zwei wichtige Hauptgräben lassen wir 1x im Jahr von einem Unternehmer pflegen
(Ausmähen mit einem Mähkorb). Dafür müssen wir ca. 2500,-€ ausgeben. Für einen
weiteren Teil der Gräben trägt die Stadt Peine die Kosten wegen höherer
Inanspruchnahme ihre Flächen (Tonkuhle, Siedlung Schachtanlage).
Eine hohe Last für den Realverband ist oder können für uns die Asphaltstraßen
werden. Davon haben wir 4 Hauptwege und 3 Querwege.
Der beste ist der Weg von der Bahn bei Glas-Hoffmann bis zur Tonkuhle mit
ca. 1500m. Den Weg konnten wir mit einer neuen Tragdeckschicht versehen zur
gleichen Zeit als die Autobahn verbreitert wurde. Es wurde mit einer Firma
zusammengearbeitet, die dort tätig war. Die Ausführung war recht gut und hält
hoffentlich lange.
Der Weg vom Bahnhof bis zum Hämelerwald ist auch fast 1500m lang und in
Abschnitten verbessert worden.
Der Hainwaldweg bis zur Bahn hat eine Länge von ca. 900m und von der Bahn bis
zum Hainwald ca. 800m.
Der Mühlenweg von der Mühle bis fast zum Wald ist ca. 1600m lang.
Querweg: Tonkuhlenweg bis Ende Kuhberg 520m
Querweg: Kuhberg bis Hainwaldweg 700m
Querweg: Hainwaldweg bis Mühlenweg 800m.
Insgesamt ergeben sich daraus über 8300m Asphaltstraßen.
Zusätzlich müssen wir immer wieder die vielen übrigen Feldwege reparieren bzw.
verbessern zum Teil mit Material von der Bahn.
Unterhaltungsmaßnahmen an den Gräben werden auf Antrag der Mitglieder nach
Bedarf meist durch einen Lohnunternehmer ausgeführt.
Im vorigern Jahr hatte der Realverband einen Lohnunternehmer beauftragt an
einigen Wegen die Zweige von Bäumen und Büschen zurück zu schneiden, da die
Fahrwege immer mehr eingeengt wurden. Nur mit diesem Spezialgerät ist diese
Arbeit zu bewältigen. Mit unseren Mitgliedern schaffen wir das in Eigenarbeit
nicht. Teilweise wurde Kritik geäußert, aber es ist immer ein Abwägen zwischen
dem Notwendigen und dem Erhalt der Begrünung. Es sieht erst schlimmer aus als
es ist. Auch die Information an den Fahrer ist manchmal schwierig. Aber
trotzdem wird er wahrscheinlich auch in diesem Jahr wieder im Einsatz sein.
Ein paar Worte möchte ich noch zu den Verbotsschildern an unseren Wegen sagen.
Dem Realverband wurde das Aufstellen erlaubt, damit die Wege nicht unnötig
belastet werden uns auch die Unfallgefahr verringert wird (Haftungsfrage).
Bis jetzt gab es auch mit den unberechtigten Benutzern ein überwiegend gutes
Miteinander. Wir hoffen es auch weiterhin. Bei den Fußgängern und Radfahrern
wünschen wir uns zum Teil mehr Verständnis, indem sie die großen Fahrzeuge
nicht in den Seitenraum zwingen, sondern auch mal einen Schritt zur Seite gehen.
Zum Schluss noch etwa zu der Ankündigung für heute im Gemeindebrief.
Vorsitzender des Realverbandes bin ich seit einigen Tagen nicht mehr.
Ich habe mich nicht mehr zur Wahl gestellt, nachdem ich 18 Jahre Vorsitzender
war und davor 22 Jahre als Rechnungsführer im Vorstand tätig war.
Nach insgesamt 40 Jahren im Vorstand bin ich ausgeschieden.
Mein Nachfolger ist Otto Hagemann.

Otto Niebuhr