Arbeiten, Essen und Leben von 1945-1948

Von Adolf Cordes

Arbeiten, Essen und Leben von 1945-1948

Am 8. Mai 1945 war der am 1.September 1939 begonnene Krieg zu Ende. Deutschland lag in Schutt und Asche und eine verwaltende Ordnung gab es eine Zeitlang nicht mehr.

Für Alle stand nun im Vordergrund: wie ernähre und kleide ich meine Familie, und für die vielen vielen Flüchtlinge und Vertriebenen kam noch außerdem dazu, wo finde ich Wohnraum und für den nahen Winter Brennmaterial und vieles andere mehr.

Nach kurzer Zeit wurde von den Verwaltungssoldaten (wir gehörten zum amerikanischen Sektor) die Notversorgung der Bevölkerung wiederhergestellt und auch die deutsche Verwaltung arbeitete wieder.

Wir “meine Mutter und drei unmündige Kinder“ lebten im Familienverband mit meinen Großeltern mütterlicher Seite in Vöhrum und hatten durch die besondere Tatkraft meines Großvaters und auch meiner Mutter keine so große Not zu beklagen.

Ich vergesse es nie wieder: als einmal eine weiterführende Schule in Erwägung gezogen wurde sagte mein Großvater: Gelder muss die Mutter haben, wenn der Sohn studieren soll. Damit war das Thema vom Tisch. Ich persönlich war heilfroh, denn für uns Kinder war unsere kleine Welt in Vöhrum bunt und es gab immer neue Sachen zu entdecken zwar war unsere Dorfgrenze die Bahnschranke, die Ziegelei und die Landwehr. Da die Mutter von früh bis spät arbeitete war daher die Kontrolle über uns Kinder doch sehr begrenzt. Wir hatten immer Hunger und haben gegessen was Wald (Nüsse) und Feld (hatten die Bauern angepflanzt) hergab.

Im gepachteten oder eigenen Hausgarten wurden Erbsen, Bohnen und vieles andere mehr nach der Ernte in Weckgläser eingekocht oder im Hauskeller zum Verzehr im Winter eingelagert. Rüben für die Hauskaninchen, Kartoffel für uns und für die Hausschweine, Mohrrüben bzw. Steckrüben wurden in Stroh gelagert und in Erdlöcher frostsicher eingegraben.

Das Obst der Hausgärten wie Kirschen, Erdbeeren, Äpfel, Nüsse usw. wurde auch eingeweckt. Wir Kinder wussten genau wo Kirschen, Äpfel oder andere Obstbäume entlang der Straße standen und hatten uns da schon verbotenerweise bedient.

Da in Deutschland nach dem Krieg Mangel an Lebensmittel war, wurden auch in Vöhrum mehrere Jahre Mohrrüben, Grün- und Weisskohl, Erbsen und auch Mohn (nach der Ernte wurde wohl aus den schwarzen Kügelchen Opium gewonnen) angebaut. Da der Boden nicht entsprechend war oder die Vermarktung nicht klappte wurde dieser Anbau nach mehreren Jahren wiedereingestellt. Ich weiß noch, wie die Frauen etwa zu 6 bis 8 nebeneinander auf kleinen Hockern saßen und Erbsen pflückten. Durch die vielen Neubürger (Vertriebene, Flüchtlinge und Bewohner der Bergwerkssiedlung) hat sich in Vöhrum die plattdeutsche Sprache nicht lange halten können, denn durch das gemeinsame Arbeiten wurde automatisch hochdeutsch gesprochen.

Im Frühjahr hatten etliche Landwirte mit der Drillmaschine in endlosen Reihen Rüben gedrillt.

Viele Familien haben dann im Pauschalpreis die Endlosrüben mit einem 18 cm großen Hacker die Zuckerrüben zum Verziehen vorbereitet. Wir Kinder haben dann die in Büschel zu 6-8 stehenden Rüben verzogen, in der Mitte der Rüben sind wir im Vierfüßerstand gekrabbelt und haben mit der rechten und linken Hand vom Rübenbüschel eine Pflanze stehengelassen. Es war eine elende Schinderei. Die Ackerstücke waren sehr lang und manchmal auch sehr steinig.

Nach der Getreideernte ging es dann zum Ährenlesen aufs Stoppelfeld. Meine Großmutter (mütterlicherseits) mit Kiepe und großen weißen Hut vorweg und wir Kinder mit der Mutter hinterher. Wenn mehrere Säcke mit gesammelten Ähren voll waren, ist meine Mutter mit zum Dreschschuppen (stand auf dem Gelände der heutigen Bäckerei Stiegler/Grete)

Das Korn haben wir dann mit dem Handwagen zur Windmühle/Lüttgerding gebracht und dort wurde dann daraus Mehl zum Semmelbacken hergestellt.

Den Semmelteig rührte und knetete meine Großmutter in einem besonderen Holztrog an (Hefe hatte ich vorher schon von Bäcker Brendecke geholt).

In der Kiepe schön zugedeckt, wurde dann der Teig zum Bäcker gebracht, dort geformt und mit einer Zugehörigkeitsnummer versehen.

Da Deutschland nicht genug Getreide produzierte, gab es eine Zeit lang öffentlich auf Marken nur Maisbrot (Brot gebacken aus Maismehl) Maismehl wurde von US-Amerika (Marshallplan) eingeführt.

Der Mensch lebt nicht von Brot allein. Während der Rationierung durfte jede Familie nur ein Schwein schlachten. Auch Schweine brauchten Vitamine und darum haben mein Großvater und ich im Wald Silberdisteln gestochen, dann im Sack per Fahrrad nach Haus gebracht und im Schweinetrog mit einem S-förmigen Stampfer zerstoßen. Bei drei heranwachsenden Kindern langte ein Schwein aber nicht.

Die Schweine, die offiziell geschlachtet wurden, konnten nicht schwer genug sein, 400 bis 480 Pfund war keine Seltenheit. Vom Schwein wurde alles verwertet: die Ohren, die Pfötchen selbst die Borsten sammelte der Hausschlachter für die Herstellung von Besen und Rasierpinsel.

In diesen Notzeiten hatte sich auch bei den kleinen Leuten rumgesprochen wie Alkohol gebrannt wird. Dieser Sprit war 98% Alkohol und mußte verdünnt werden.

Mein Onkel war Schlosser und hatte so eine Brenn-Anlage gebaut und mein Großvater tauschte dann den gebrannten und verdünnten Alkohol gegen schlachtreife Schafe beim Gemeindeschäfer ein. Der Schäfer Bosold (die Familie ist ausgestorben) war Junggeselle und lebte im Sommer in einem Schäferkarren.

Nun stand der Winter vor der Tür und feste Brennstoffe waren sehr schwer zu erhalten.

Jetzt war Stuken/Stubben roden angesagt. Wir haben überwiegend Flachwurzler, also Tannen und Fichten gerodet. Wir Kinder (unser Bruder war schon in der Lehre) mussten die Stuken auf einen Wagen laden, der vor dem Walde stand. Ab und an rodete mein Großvater (er war Jhrg. 1876) auch Eichenstuken. Ich weiß noch wie er einmal mit total blutigen Gesicht nach Haus kam. Ein Keil war abgeprallt und hatte sein Gesicht gestreift.

Vöhrum hatte einen Bahnhof mit zwei Überholungsgleisen.

Wenn ein Kohlezug in Überholung stand, hatte es sich schnell rumgesprochen und von den Waggons wurden Brikett Steinkohle usw. runtergeworfen bis der Zug wieder weiterfuhr. Die Bahnpolizei wurde zwar von den Vöhrumer Fahrdienstleiter alarmiert, aber bis die da waren, waren die „Kohlenklauer“ wieder verschwunden. Manchmal stand hinter dem Schauer bei Bührig ein Polizist und wir mußten die mühsam geklaute Kohle dort abladen.

Am 31.12.46 hat der Erzbischof von Köln-Fringsen- über das siebte Gebot gesagt: dass in Notzeiten seines Erachtens gegen das Gebot verstoßen werden kann.

Leichter Diebstahl wurde dann als „fringsen“ bezeichnet.

Ein großes Problem meiner Mutter war zu der Zeit auch für mich Bekleidung zu beschaffen.

Meine langen Strümpfe, Leibchen oder Pullover war immer aus selbstgestrickter Schafwolle.

Meine Mutter kaufte die Schafwolle frisch geschoren vom Schäfer.Dann kam alles in die große Zinkwanne und wurde mit selbsthergestellter Kernseife intensiv gewaschen und getrocknet.

Anschließend brachte sie die Wolle zum Kämmen zu Emil Kult. Dann wurde die Wolle (ein Flies) mit einem Spinnrad von meiner Mutter zu Garn gesponnen und mit einem wieder anderen Gerät „Haspel“ aufgewickelt Von dort wurde die Wolle dann abgewickelt und war strickbar. Da es auch schwarze Schafe gab, war die Strickwolle dementsprechend. Ich habe mich manchmal geschämt, wenn ich in langen Schafwollstrümpfen in verschiedenen Farben zur Schule musste. Es gab zu der Zeit in Vöhrum drei Schuhmacher: Risch, Hantelmann und Hoppenworth, aber auch die konnten keine Schuhe wegen Materialmangel reparieren. Ich hatte von meinem Cousin im zweiten Glied Schnürlangschäfte ohne Sohlen geschenkt

bekommen. Meine Mutter ließ da Holzsohlen drunter machen.

In dicken Büchern der Historiker ist das große Weltgeschehen ausführlich beschrieben worden. Über Vertreibung und Flucht kann man sich aus vielen Quellen informieren.

Für Vöhrumer die vor oder nach mir geboren sind habe ich dies alles aufgeschrieben.

Ein Dichter hat einmal geschrieben: und schüttle mein greises Haupt, was sucht ihr heim mich ihr Bilder, die längs schon vergessen geglaubt.

Auf einem Schulbild aus dieser Zeit ist in der ersten Reihe einer meiner Schulfreunde barfuss zu sehen.

Ein Freund, der im März 1947 konfirmiert wurde sagte mir: ich bin in kurzer Hose konfirmiert worden, ich hatte keine lange Hose.

Aber trotzdem, es war für uns Kinder eine aufregende und manchmal schöne Zeit und ich könnte noch vieles andere Mehr schreiben.

Aufgeschrieben April/Mai 2018

Adolf Cordes