Vöhrumer Geschichten
Das Storchennest in Vöhrum
Von Hermann Hagemann sen.
Die “Storchennest-Tradition” im Bereich Kirchvordener Str. 51 und Kirchvordener Str. 53 begann im Jahre 1930, als mein Vater, Otto Hagemann, auf einer gekappten Esche im “Grasgarten” von “Hof Hagemann” ein Wagenrad installierte.
Diese Unterlage wurde unverzüglich von einem Storchenpaar angenommen (Abb.: 1).
Bis 1937 fanden dort regelmäßig Bruten statt.
Dann starb der Horstbaum ab und musste gefällt werden.
Aus diesem Grund richtete mein Vater eine neue Nestunterlage auf einer anderen Esche ein (Abb.: 2).
Auch dieses Angebot wurde sofort angenommen.
Im Jahre 1948 wuchsen auf diesem Nest zum letzten Male Jungstörche heran.
Noch ein paar Jahre lang erschienen gelegentlich Besucher, doch dann ließ sich kein Storch mehr blicken. Das Nest zerfiel im Laufe der Jahre.
Die „dramatische“ Abnahme der Storchenpopulation im westlichen Europa schlug damals auch im Bereich der Fuhseniederung durch.
In einigen Sommern horstete im ganzen Kreis Peine nur ein Storchenpaar und es gab Jahre, in denen kein einziges Storchenküken aufgezogen wurde.
Dagegen wollte ich, nachdem ich in Vöhrum wieder fest ansässig geworden war, etwas unternehmen.
Meine ersten Ansiedlungsversuche auf dem Grundstück Kirchvordener Str. 51 begannen Anfang der 1970er Jahre zunächst mit einem Baumnest auf einer Roterle und dann mit einem Dachreiternest auf dem Saalgebäude der Gaststätte “Zur Wartburg”.
Der Erfolg war entmutigend. Zwar kreiste gelegentlich einmal ein Storch über dem Grundstück, es gab sogar ein paar Landungen, aber zu längeren Verweildauern oder gar zu einer Brut kam es nicht.
Die Aussichten besserten sich, als auf Initiative meines Sohnes, Hermann O.H. Hagemann, ein Mastennest auf dem First seiner Glaserwerkstatt (ehemals der Saal der Gaststätte “Zur Wartburg”) erstellt wurde.
Die ersten Besucher erschienen. Sogar ein Paar nahm die neue Wohngelegenheit in Augenschein. Mehr wurde dann aber leider doch nicht daraus.
Mit der Neueindeckung des Werkstattgebäudes im Jahre 2003 wurde ein verbessertes, insbesondere höher aufragendes Nestmodell, installiert.
Inzwischen hatte sich aber auch die Storchensituation entgegen den Einschätzungen der Fachleute, die ein Aussterben des Weißstorches im westeuropäischen Raum prophezeit hatten, deutlich verbessert.
Insbesondere im westlichen und südlichen Deutschland nahm die Anzahl der Brutpaare rasant zu.
Es wurden einige Hypothesen über den Grund oder die Gründe dieser positiven Bestandsentwicklung ersonnen, aber so recht überzeugend wirkt keine; denn “eigentlich” müßte es für die Störche im Vergleich zu den 1960er und 1970er Jahren hierzulande eher schlechter als besser geworden sein, insbesondere durch den Rückgang der Grünlandflächen.
Von dieser Storchen-“Hausse” wurde schließlich auch der Kreis Peine erfasst und so geschah es, dass endlich nach mehr als 30-jährigem Bemühen im Jahre 2006 sich auf dem mittlerweile vierten Nestangebot in der Nord-Ost-Ecke Vöhrums ein Storchenpaar ansiedelte, und zwar just am 29. April, dem Geburtstag meines Vaters, der die erste Nestunterlage für Störche in diesem Bereich installiert hatte.
Das Männchen dieses Paares trug einen Ring und anhand der Ringnummer, DEW 1X865, konnten einige Informationen über diesen Vogel eingeholt werden:
Aus den Unterlagen der Vogelwarte Helgoland (Sitz in Wilhelmshaven) ergab sich, dass dieser Storch im Jahre 2004 als Küken in der “Storchenpflegestation Wesermarsch” in Berne-Glüsing in der Nähe von Bremen aufwuchs und beringt wurde.
Diese Information überraschte mich allerdings sehr. Niemals hätte ich mit diesem Ergebnis gerechnet. Es stellte sich nämlich heraus, dass ich diesen Storch “bestellt” bzw. sogar “gekauft” hatte und das kam so:
Am 17.03.2004 haben meine Frau und ich das in der Nachricht der Vogelwarte genannte “Storchensanatorium” besucht.
Dort werden verletzte Störche aufgenommen und nach erfolgreicher Pflege freigelassen.
Wenn schwere Behinderungen zurückbleiben, verbringen die Vögel als “Dauerpatienten” den Rest ihres Lebens in der Station. Manche von ihnen brüten sogar erfolgreich in Bodennestern.
Aber auch “Wildstörche” haben sich dort angesiedelt.
Im Laufe der Jahre hat sich eine Kolonie von mehr als 20 Brutpaaren etabliert, in der jährlich ca. 60 Jungstörche heranwachsen.
Mit dem Leiter der Anlage, Herrn Hilfers, kam ich ins Gespräch.
Ich berichtete ihm von unserer 2003 neu eingerichteten Nestunterlage und bat ihn, bei den in diesem Sommer heranwachsenden Jungstörchen für Vöhrum die “Werbetrommel zu rühren”. Herr Hilfers lachte und versprach, sein Bestes in dieser Angelegenheit zu geben.
Um seinen Eifer zu bestärken, steckte ich gut sichtbar für ihn noch einen “Schein” in die auf einem Tisch ausgestellte Spendendose.
Nun hatten sich die Bemühungen offensichtlich gelohnt: Herrn Hilfers “Reklame” und meinem “Schmiergeld” war nachhaltiger Erfolg beschieden. Einer der Jungstörche der Glüsinger Kolonie aus dem Jahre 2004 hatte den Weg nach Vöhrum gefunden und setzte in der Folge alles daran, unter energischer Mithilfe seiner unberingten “Gattin” das Nest gegenüber missliebigen Nachbarn für seine “Familienplanung” zu sichern.
So kam es, dass nach fast 60-jähriger Pause in Vöhrum zwei Jungstörche heranwuchsen und ausflogen (Abb.: 3).
Meine Hoffnung, dass nun die Storchentradition in Vöhrum ihren Fortgang nehmen würde, wurde allerdings im Folgejahr nur eingeschränkt erfüllt.
Zwar kehrte DEW 1X865 am 13.04.2007 wieder auf sein Vorjahrsnest zurück, fing sogar mit Ausbesserungsarbeiten an, war dann aber am 15.04 plötzlich verschwunden.
Wie mir der Storchenbetreuer, Herr Reither, bereits am nächsten Tag mitteilte, war er aber nicht, wie ich zunächst befürchtete, verunglückt, sondern den Reizen einer beringten Storchendame auf dem Abbenser Nest “verfallen”.
Am 17.04.2007 landete dann ein unberingter Storch auf dem Vöhrumer Nest.
Da sich im weiteren Verlauf herausstellte, dass es ein Weibchen war, besteht einige Wahrscheinlichkeit, dass es sich um die Störchin des Vorjahres handelte.
Wäre sie einige Tage früher angereist, wären ihr die nachfolgenden Turbulenzen wohl erspart geblieben.
Zunächst jedoch bestand guter Grund für die Hoffnung auf eine zweite Brut auf dem neuen Nest, denn bereits am folgenden Tag fand sich ein unberingter Partner ein.
Wie bei Störchen üblich wurde nicht lange “geturtelt”. Der Sommer ist kurz und für bedächtige Familienplanung bleibt keine Zeit.
Aber das Glück währte nicht lange.
Am 20.04. tobte auf dem Nest ein heftiger Kampf.
Zwei Störche prügelten sich, dass die Federn flogen (Abb.: 4).
Mit ihren spitzen Schnäbeln hieben die Kontrahenten brutal aufeinander ein.
Bei beiden färbte sich das Rückengefieder blutig-rot.
Nicht nur auf dem Nest wurde heftig gerungen. Auch der Luftraum wurde in die Auseinandersetzung einbezogen.
Ca. 15 Minuten lang fieberten wir Beobachter mit.
Dann aber war die Entscheidung gefallen.
Nach einer letzten Attacke nahm einer der beiden Kontrahenten Reißaus.
Aber wer war der Sieger?
Das stellte sich bald heraus. Er trug einen Ring mit der Chiffre – und das war die große Überraschung – DEW 1X865.
“Er ist wieder zurück”.
“Wird er aber auch bleiben?” Das war die spannende Frage.
Zunächst schien es so. Es folgten nämlich zwei Kopulationen mit der Nestbesitzerin, aber dann machte er sich davon – in Richtung Abbensen.
Am 23.04. erhielt unsere “Strohwitwerin” wieder Besuch.
Ein stattlicher Storchenherr war es.
Er trug einen Ring mit folgender Aufschrift:
VOGELTREKSTATION ARNHEM HOLLAND 6257.
Ein “Migrant” aus den Niederlanden suchte also bei uns in Vöhrum eine neue Heimat.
Verständigungsschwierigkeiten bestanden allerdings nicht und nach einigem Begrüßungsgeklapper wurde die Hochzeit vollzogen.
“Alles wird gut”, freuten wir uns, aber, wie sich bald zeigte, leider zu früh.
Am selben Abend noch, gegen 22 Uhr – es war schon dunkel – hörte ich mächtiges Gepoltere und Geflattere auf dem Nest.
Der Grund war nicht etwa ein Marder, der den Störchen “an den Hals” ging, sondern wieder einmal ein heftiger Storchenkampf.
Das Ergebnis konnte ich erst am nächsten Tag feststellen: DEW 1X865 stand auf dem Nest und “schäkerte” mit unserer Storchendame.
Der “Holländer” war verschwunden und ließ sich nicht wieder blicken.
Auch andere Bewerber wurden nicht mehr beobachtet.
Dafür kam der “Abbenser” fast täglich für ein “Schäferstündchen” vorbei.
An den letzten Apriltagen saß die Störchin daraufhin fast ständig in der Nestmulde und machte nur kurze Ausflüge.
Was war geschehen? Hatte die “Affäre” Folgen? Lagen vielleicht Eier im Nest? Wurde gebrütet?
Die Aufklärung kam am 1. Mai.
DEW 1X865 schaute wieder einmal vorbei und wurde herzlich begrüßt.
Dann stellte er sich mitten ins Nest und senkte den Schnabel in die Nestmulde.
Als er den Kopf wieder hob, wäre mir vor Überraschung fast das Fernglas aus der Hand gefallen. Mit den Schnabelspitzen hatte er ein Ei erfasst und schleuderte es mit elegantem Schwung über den Nestrand.
Nach einiger Zeit folgte ein zweites Ei.
Die Störchin sah bei diesem “Kindermord” ganz unbeteiligt zu.
Die Brut bzw. der Brutversuch war damit abgeschlossen.
Ansonsten änderte sich wenig. Die Besuche wurden allerdings seltener und waren nur noch von kurzer Dauer. Das war auch verständlich, denn DEW 1X865 hatte reichlich zu tun, um die Schnäbel der beiden Storchenküken, die er im Abbenser Nest gemeinsam mit seiner “Hauptfrau” heranzog, zu stopfen.
Meine Hoffnung, dass sich im Jahre 2008 wieder “stabile”, “normale” Verhältnisse auf unserem Storchennest einstellen würden, wurde nicht erfüllt.
Zwar gestaltete sich das “Kuddelmuddel” etwas übersichtlicher, die Grundzüge aber blieben erhalten.
Auch in diesem Jahr blieb es nämlich nach einigen Turbulenzen im Frühling bei der Besetzung durch eine Einzelstörchin.
Der “Lover” kam aber diesmal nicht aus Abbensen.
Das unberingte Männchen des Telgter Storchenpaares nutzte die Gelegenheit zu einigen “Seitensprüngen”, die wie im Vorjahr zu den natürlichen Folgen führten.
Die Störchin legte mindestens zwei Eier, deren Abwurf durch das Storchenmännchen ich beobachten konnte.
Beim zweiten Male hatte ich glücklicherweise auch die Kamera für ein Belegfoto zur Hand (Abb.: 5).
Die Geschehnisse der Jahre 2006 bis 2008 habe ich in einiger Ausführlichkeit geschildert, um zu zeigen, dass die oft recht “romantischen” Vorstellungen vom Storchenleben einer genauen Überprüfung nicht standhalten.
Überzeugungen wie z. B. “Storchenpaare sind einander ein Leben lang treu” oder “Auf unserem Nest sind es in jedem Jahr dieselben” sind zwar weit verbreitet, ihre Gültigkeit ist aber sehr begrenzt.
“Storchenehen” werden nämlich nur für eine Brutsaison geschlossen.
Auf dem Zugweg ins Winterquartier und beim Aufenthalt dort ist, wie Ringablesungen eindeutig belegt haben, der Kontakt zwischen den Partnern völlig abgebrochen. Nur der Umstand, dass Störche bei der Rückkehr im Frühjahr häufig ihr gewohntes Nest anfliegen, führt die Vorjahrspartner oftmals wieder zusammen. Von diesem Verhalten wird aber nicht selten abgewichen, wie sich auch am Beispiel DEW 1X865 zeigte.
Das Verhalten der Störche wird von harten Fakten bestimmt: Nahrung, Lebensraum, Fortpflanzung. Das sind die beherrschenden Themen.
Auch auf die oft zitierte “Storchenregel”, dass die Männchen im Frühjahr stets als erste zurückkehren, um das Nest für die Weibchen wohnlich herzurichten, ist kein Verlass und das ist nicht verwunderlich:
1. “Absprachen” können nicht getroffen werden (s. o.)
2. Es gibt keine geschlechtsspezifischen Abflugtermine wie etwa: “Herren” im Januar, “Damen” erst im Februar.
3. Die Zugstrecken variieren in Richtung und Länge.
Die “Ostzieher” erreichen aus Afrika zurückkehrend über die Türkei, den Bosporus und dem Balkan schließlich Mitteleuropa.
Die “Westzieher” wählen den Weg über Gibraltar, Spanien und Frankreich, um beispielsweise schließlich den Kreis Peine zu erreichen.
Da können insbesondere Witterungseinflüsse – z. B. Wintereinbrüche in den Karpaten oder Sandstürme in der Sahara – für tage- oder gar wochenlange Zugstaus sorgen.
Für viele Störche bedeuten derartige Ereignisse sogar das Ende ihrer Lebensreise.
Wie bei der Deutschen Bahn ist bei derartigen Widrigkeiten ein Fahrplan, auch wenn es ihn im angeborenen Storchenverhalten gäbe, nicht einzuhalten.
Obendrein verkürzen in zunehmendem Maße “Westzieher” ihre traditionelle Route und überwintern in Spanien.
Manche Störche ziehen erst gar nicht los und bleiben auch im Winter in ihrem Brutgebiet.
Aus diesen und sicherlich noch anderen Gründen “trudeln” unsere Sommergäste in einem weiten Zeitfenster zwischen Ende Februar und Mitte Mai bei uns ein, oft in gemischten Trupps oder auch als Einzelzieher.
Bleibt die Frage, ob der Storch wirklich die kleinen Kinder bringt.
Meine Altersgenossen und ich waren vor ca. 70 Jahren noch ganz fest davon überzeugt. “Klapperstorch, Du Bester, bring mir eine Schwester” oder “Klapperstorch, Du Guter, bring mir einen Bruder”, forderten wir die “Langbeine” auf. Manchmal half das tatsächlich.
Für meine Familie ist übrigens folgendes gesichert: Mein Vater hat im Jahre 1930 das erste Storchennest eingerichtet und 1937, weil der Nestbaum abgestorben war, das zweite. Im Jahre 1931 wurde mein Bruder Otto geboren, im Jahre 1938 kam ich auf die Welt.
Danach hat mein Vater keinen Storchenhorst mehr eingerichtet. Die Familienplanung war abgeschlossen. Diese “Statistik” macht nachdenklich.
In den Jahren 2009 bis 2012 gab es im Frühjahr immer wieder hoffnungsvolle Ansätze, zu einer Brut kam es aber nicht.
“Missgünstige” Storchennachbarn aus Telgte, Abbensen oder Wendesse verhinderten dauerhafte Ansiedlungen.
Erst 2013 gelang es endlich einem Paar, das Nest auf Dauer zu behaupten. Möglicherweise ist dieses Ergebnis dem Umstand zu verdanken, dass das streitbare Männchen des Telgter Nestes der vorhergehenden Jahre, Ringnummer: DEW 2X980, nach Dannenbüttel im Kreis Gifhorn “verzogen” war.
Obwohl beide Partner unberingt waren, konnte ich sie an einem besonderen Gefiedermerkmal – in diesem Fall betraf es die “Grenzlinie” zwischen weißem und schwarzem Flügelbereich – gut unterscheiden
(Abb: 6).
Aus diesem Grund habe ich ihnen auch “personenbezogene” Namen geben können: “Fransa” und “Wellus”.
“Fransa”, das Weibchen, hat übrigens als erste das Nest bezogen.
“Wellus” ist dann später “eingeheiratet”.
Die beiden zogen zwei Küken auf, von denen das eine bei einem heftigen Hagelunwetter am 27.07.2013 verletzt wurde und vom Nest abstürzte.
Unter Einsatz der Vöhrumer Feuerwehr in Person des stellvertretenden Ortsbrandmeisters Henrik Stellfeldt konnte es eingefangen werden.
Gut verpackt (Abb.: 7) haben meine Frau und ich das “Hagelopfer” mit dem PKW nach Leiferde (Gifhorn) transportiert und es der sachkundigen Pflege des NABU-Artenschutzzentrums anvertraut.
Dort erholte sich der Jungstorch schnell, wurde beringt und noch im selben Jahr in die Freiheit entlassen.
Leider ist dieser Storch auf seinem ersten Zug ins Winterquartier bei einem Zwischenstopp in Rumänien durch menschliche Einwirkung ums Leben gekommen. Die Meldung der Vogelwarte gibt als Grund folgendes an: “absichtlich gefangen zum Schutz von Ernten und Tieren”.
Diese Nachricht wirkt auf mich ziemlich geheimnisvoll und ich rätsele, was da wohl tatsächlich passiert sein mag?
In den Jahren 2014 bis 2016 zog ein unberingtes Paar – ob es immer dasselbe war, weiß ich nicht, denn Störche sehen sich normalerweise einander außerordentlich ähnlich – jeweils zwei Küken auf.
2017 änderte sich die Paarsituation.
Die Partnerin dieses Jahres trug nämlich einen Ring: DER AU872
(Abb.: 8).
Wie meine Nachforschungen ergaben, handelte es sich um eine ganz junge, erst zweijährige Storchendame, die im Jahre 2015 in einem Nest in Reichertshofen, im Kreis Pfaffenhofen, im Freistaat Bayern aufgewachsen ist.
In diesem Jahr wurde nur ein Küken aufgezogen.
Wenn ich aber bedenke, wieviel Zeit verstreichen musste, ehe es in Vöhrum überhaupt wieder einmal klappte bzw. klapperte, scheint es mir geraten, das “nur” schnell wieder zu streichen.
Wie wird es auf dem Vöhrumer Storchennest weitergehen?
Ob die positive Bestandsentwicklung im heimischen Bereich sich fortsetzt – im Jahre 2016 zählte der für den Kreis Peine zuständige Storchenbetreuer, Georg Fiedler, bereits 19 Brutpaare und 30 Küken wurden flügge – ist keineswegs sicher.
Meine bisherigen Erfahrungen – auch bei der Beobachtung anderer Standorte in der Nähe – zeigen, dass verlässliche Vorhersagen nicht möglich sind.
“Traditionsnester” wie z. B. auf dem Rittergut in Abbensen oder auf der Kirche in Oelerse wurden plötzlich aufgegeben, andererseits aber auch neue Standorte – sogar “ungeplante”, wie auf einem gekappten Baum im Park des Alten-und Pflegeheimes in Oelheim – angenommen.
Das Verhalten der Störche erweist sich bei sorgfältiger Beobachtung als sehr flexibel. Es folgt keinen strengen Regeln und Gesetzen und stellt sich sich schon gar nicht auf menschliche Vorstellungen und Wünsche ein.
Storchenfreundinnen und -freunden bleibt deshalb nur eines, nämlich abzuwarten und stets auf Überraschungen gefasst zu sein.
Damit begann dann auch das Storchenjahr 2018.
DER AU872, die Brutstörchin des Vorjahres, kehrte nicht wieder zum Nest zurück.
Ob sie während der Zugperiode verunglückt oder auf andere Weise zu Tode gekommen ist, habe ich bislang noch nicht in Erfahrung bringen können.
Vielleicht hat sie aber auch einen attraktiveren Brutplatz oder Partner auf dem Heimweg aus dem Winterquartier gefunden?
Der um Rat gefragte Storchenbetreuer, Hans Jürgen Behrmann, hält die zweite Variante für wahrscheinlicher.
Möglicherweise lüftet sich aufgrund der Beringung irgendwann das Geheimnis.
Eine Konstante für das Vöhrumer Nest scheint seit 2013 das unberingte Männchen zu sein, der “Laternenstorch”, denn auch in diesem Jahr war die Straßenlampe vor dem Grundstück “Kirchvordener Str. 51” in den letzten Wochen der Jungenaufzucht, wenn es auf dem Nest sehr unruhig wird, der bevorzugte Schlafplatz (Abb.: 9).
Der ausgedehnte weiße Fleck auf der Verkehrsinsel erinnert auch lange Zeit nach Abzug der Störche noch daran.
Der “Hausherr” kehrte am 07.03.2018 aus dem Winterquartier zurück und machte durch heftiges Klappern sofort seine Besitzansprüche deutlich.
Schon am nächsten Tag fand sich ein unberingtes Weibchen ein und es wurde unverzüglich “Hochzeit gefeiert”.
Vier Tage lang lief alles “nach Plan”, doch dann war von einem Tag zum anderen die “Gattin” verschwunden.
Der Grund ist unbekannt und der Verbleib wird sich auch nie aufklären lassen, da dieser Vogel nicht markiert war.
Am 15.03.2018 aber zog neues Glück im Storchenhorst ein.
Die “Neue” trug nicht nur am rechten Bein einen der z. Z. gebräuchlichen “ELSA”-Ringe mit der Kennzeichnung DEW 7X759, sondern war auch am linken Bein mit einem mir unbekannten Ringtyp – vielleicht sind es sogar zwei Ringe – “geschmückt” (Abb.: 10 und 11).
Nun herrschte wieder eitel Freude auf dem Nest und eifrig wurde der Wunsch auf Nachkommenschaft bekräftigt.
Dann aber, als ich bereits Anzeichen zu erkennen glaubte, dass das erste Ei gelegt sei, hat sich am 26.03.2018 DEW 7X759 wieder davon gemacht.
Auf Grund der Beringung habe ich Hoffnung, irgendwann etwas über ihren Verbleib zu erfahren.
Diesmal brauchte unser “Laternenstorch” nicht lange zu warten.
Bereits zwei Tage später, am 28.03.2018, landete die dritte Bewerberin auf dem Nest.
Auch sie trug einen Ring.
Mit Hilfe meines Spektivs konnte ich den Code ablesen: DEW 7X963 (Abb.: 12).
Inzwischen habe ich erfahren, dass diese Störchin im Storchenhorst des Klosters Wienhausen, in der Nähe von Celle, im Sommer 2013 aufgewachsen ist.
Der für dieses Nest zuständige Storchenbetreuer, Hans-Jürgen Behrmann, berichtete mir, dass es für DEW 7X963 beim “Start ins Leben” etwas “rumpelte”.
Der erste Abflug gelang zwar, nicht aber die sichere Rückkehr zum Nest.
Mitten auf der vielbefahrenen Straße vor dem Klostergelände erfolgte eine riskante Notlandung.
Ein neuer Start von ebener Erde aus, eingeengt von Häusern und Baumkronen, wurde gar nicht erst versucht.
Dem schleunigst alarmierten Storchenbetreuer gelang es, den Vogel einzufangen.
Bei guter Pflege im NABU-Artenschutzzentrum in Leiferde gewann DEW 7X963 Kraft und Selbstbewusstsein und konnte nach einiger Zeit “ausgewildert” werden.
Die dritte Paarbeziehung erwies sich als stabil und belastbar und am 08.04.2018 konnte ich sichere Anzeichen für den Brutbeginn beobachten (Abb.: 13).
Einige Aufregungen durch “dreiste” Fremdstörche gab es zwar noch, aber schließlich schmückten zwei kräftige Jungstörche das Nest, die sich voller Eifer auf ihren “Jungfernflug” vorbereiteten (Abb.: 14).
Am 17.07.2018 wagten es die beiden zum ersten Mal, den festen Nestboden zu verlassen und allein ihren gut entwickelten Schwingen zu vertrauen.
Der erste Ausflug führte sie in die nahegelegene Weide unseres Nachbarn Otto Hagemann (Abb.: 15).
Der Rückflug verlief etwas “polterig”, aber nach mehreren abgebrochenen Landeversuchen – bei denen ich kräftig mitzitterte – standen beide wieder wohlbehalten auf dem Horst.
Nun war der Bann gebrochen und immer häufiger und über zunehmend längere Zeiträume waren die beiden “außer Haus”.
Am 31.07.2018 habe ich sie zum letzten Mal beobachtet.
Die Eltern haben sich noch zwei Wochen vom “Brutstress” erholt und sich dann auch auf die Reise ins Winterquartier gemacht.
Am Vormittag des 27.02.2019 landete ein unberingter Storch auf dem Vöhrumer Nest. Ein merkwürdiges Exemplar war das. Die weißen Federbereiche waren großflächig rot-braun eingefärbt. Meine Frau, die Farben besser bestimmen kann als ich, ist sich sicher, dass auch noch ein „Blaustich“ darin enthalten war. Das Foto vermag die Verhältnisse nur schwach wiederzugeben (Abb.: 16).
Wie der Storch zu dieser ungewöhnlichen „Verzierung“, die im Laufe der folgenden Tage deutlich verblasste, gekommen ist, weiß ich nicht.
Der „Fleckenstorch“ hat die erste Nacht nach seiner Ankunft auf dem Nest verbracht, doch in den folgenden Tagen beschränkte sich seine Anwesenheit auf gelegentliche Besuche.
Ich vermute, dass er sich bereits auf einen anderen Standort festgelegt hatte, und Vöhrum nur aus Kontrollgründen oder als zusätzliche Brutplatz-Option angeflogen hat.
Das änderte sich allerdings am Nachmittag des 05.03.2019.
Ein ebenfalls unberingter, aber farblich „makelloser“ Storch landete auf dem Nest und machte durch sein auffälliges Verhalten – häufiges, anhaltendes Klappern, begleitet von heftigem Flügelschlag („Rudern“) – die ganze Umgebung auf seine ernsthaften Revieransprüche aufmerksam.
Den „Fleckenstorch“ hat dieser „Radau“ wohl so beeindruckt, dass er sich gar nicht mehr blicken ließ.
In der weiteren Entwicklung erwies sich der Neuzugang mit einiger Sicherheit als ein „Alter Bekannter“, nämlich als der „Laternenstorch“ der Vorjahre.
Angelockt durch seine „Klapperei“ sorgten in der Folgezeit andere Nest-Interessenten – Einzelstörche sowie Paare – für Aufregung, einige als Rivalen und Konkurrenten, andere mit friedlichen bzw. „ernsthaften“ Absichten.
Mindestens drei Storchen-Damen – ich konnte sie an Hand der Beringung bzw. charakteristischer Gefiedermerkmale sicher unterscheiden – gelang es, das Nest zu „entern“ und das Wohlwollen des „Hausherren“ zu erreichen.
Woran diese zunächst sehr harmonischen Beziehungen nach einigen Tagen oder sogar nur wenigen Stunden wieder scheiterten, weiß ich nicht.
Allerdings sind derartige „Ehen auf Probe“ – wie auch meine früheren Beobachtungen belegen – bei Störchen keineswegs ungewöhnlich.
Mit diesem „Lotterleben“ war allerdings am 21.03.2019 Schluss.
„Sie“ kam, wurde gesehen, begeistert empfangen und blieb.
Die beiden kannten sich, wie ich dank meines Spektivs schnell ermitteln konnte, allerdings bereits recht gut.
Das Brutpaar des Vorjahres war wieder vereint: DEW 7X963, die „Wienhäuserin“, war ihrem Nest und damit ihrem „Vorjahrs-Gatten“ treu geblieben (Abb.: 17 – 18).
Von da an wurden fleißig Nestbau und mit ebenso großem Eifer „Familienplanung“ betrieben.
Das erste Ei wurde Anfang April gelegt.
Den genauen Termin weiß ich nicht, denn ich habe keine Möglichkeit, in die Nestmulde zu schauen.
Spätestens ab dem 06.04.2019 wurde jedoch fest gebrütet.
Von diesem Tag an machte das Paar nämlich keine gemeinsamen Ausflüge mehr und ein Partner hockte, von kurzen Wechselpausen abgesehen, unbe-eindruckt von der Witterung oder anderen Einwirkungen geduldig in der Nestmulde.
Am 08.05.2019 ist das erste Küken geschlüpft.
Gesehen habe ich es – genau wie das erste Ei – natürlich nicht, aber ein indirekter Nachweis verschaffte stattdessen auch in diesem Fall die gleiche Sicherheit.
Es wurden nämlich von einem Altsstorch störende Partikel aus der Nestmulde mit der Schnabelspitze „herausgefischt“, dann aber nicht über den Nestrand hinweg entsorgt, sondern senkrecht emporgeschleudert, beim Herabfallen mit dem geöffneten Schnabel aufgefangen und schließlich verschluckt.
Es waren also Reste einer Futterportion, die einem frisch geschlüpften Küken vorgelegt, aber wegen zu reichlichen Angebots nicht aufgenommen wurden.
Am 15.05.2019 überbrachte mir mein Sohn die betrübliche Nachricht, dass auf dem Weg unterhalb des Nestes ein totes Storchenküken lag (Abb.: 19).
Die Todesursache ist nicht bekannt.
Meine Befürchtung, dass möglicherweise ein „Einzelkind“ im Nest gehockt hatte, bestätigte sich nicht, denn die Eltern änderten ihr Brutverhalten nicht, fütterten weiter und gut eine Woche später stand fest, dass zwei muntere Geschwisterchen sich auf den Weg machten, die Vöhrumer Storchentradition fortzusetzen (Abb.: 20).
Anfang Juni, als es auf dem Nest zunehmend eng und unruhig wurde, nahm der „Papa“ wie auch in den Vorjahren gern seinen „Steh-Platz“ auf der Straßenlaterne ein (Abb.: 21).
Der weitere Verlauf zeigte übrigens, dass in diesem Jahr sicherlich auch drei oder vier Jungstörche hätten aufwachsen können, denn Nahrung gab es trotz Trockenheit und großer Hitze im Überfluss.
Zwar hielt sich eine der Lieblingsspeisen der Störche, der Regenwurm, witterungsbedingt in tieferen Bodenschichten auf und war somit unerreichbar, aber die Massenvermehrung der Feldmaus sorgte für reichlichen Ersatz.
Das Angebot war so groß, dass die Altstörche in ihren Kröpfen mehr heranschafften, als die Brut verzehren konnte.
Der Überschuss, der normalerweise von den Eltern wieder aufgenommen wird (s. o.), wurde kurzerhand über den Nestrand entsorgt (Abb.: 22 – 25).
Einen derartig großzügigen Umgang mit Nahrungsressourcen habe ich bislang noch nie beobachtet.
Die Storcheneltern waren stets bemüht, ihren Nachkommen, die der „Sonnenglut“ auf ihrem exponierten Standort schonungslos ausgesetzt waren, die Situation durch „Sonnenschirm“ (Abb.: 26),
Tränkung (Abb.: 27), oder doch zumindest durch Teilhabe (Abb.:28) zu erleichtern. So wuchsen die beiden Küken auch unter den extremen Bedingungen dieses Sommers zügig zu kräftigen Jungstörchen heran und ab Ende Juni wurde eifrig für den ersten Flug trainiert (Abb.: 29).
Am 12.07.2019 waren die Vorbereitungen ausreichend weit gediehen (Abb: 30 – 32).
Der gefahrvolle Schritt hin zur praktischen Anwendung konnte folgen.
Den aber muss ein Storchenkind ganz allein bewältigen.
Hilfestellung seitens der Eltern ist nicht vorgesehen und wäre auch gar nicht möglich.
Zunächst einmal wurden Landeplätze in der unmittelbaren Nähe angeflogen:
Der Dachfirst der Glaserwerkstatt (Abb.: 33), die gekappte Douglasie (Abb.: 34 – 35) und sogar die Straßenlaterne (Abb.: 36)
Danach wurden die Jungsstörche schnell selbständig und bereits am 23.07. bzw. am 24.07.2019 haben sie das „Elternhaus“ endgültig verlassen.
Das Nestpaar hatte gar keine Eile, sich auf den Weg ins Winterquartier zu machen.
Die beiden haben die Ruhe und die Freiheiten, die sich ihnen nach dem Abzug der Jungsstörche boten, sichtlich genossen.
Gemeinsame Tages- oder Halbtagesausflüge wechselten ab mit ausgedehnten „Schmusestunden“ auf dem Nest (Abb.: 37 – 38).
Ein paarmal – ich hatte bereits davon gehört, aber für mich waren das wieder einmal Erstbeobachtungen – wurde zu dieser ungewöhnlichen Jahreszeit sogar kopuliert (Abb.: 39). Eine zweite Brut ist allerdings nicht daraus hervorgegangen.
Hin und wieder mussten, wie auch die ganze Brutzeit hindurch, lästige Besucher abgeschreckt und zurückgewiesen werden (Abb. 40).
Erst am 06.09.2019, das ist „Aufenthaltsrekord“ für dieses Nest, sind „Laternus“ und DEW 7X963 gleichzeitig abgezogen.
Ob sie allerdings den gleichen Weg zu einem gemeinsamen „Urlaubsziel“ eingeschlagen haben, ist ungewiss und sogar recht unwahrscheinlich.
Eher ist zu erwarten, dass sie sich im nächsten Frühjahr wieder begegnen, und zwar auf dem Vöhrumer Nest.
Dieser Standort und seine Umgebung bieten offenbar gute Konditionen für eine erfolgreiche Brut und das ist letztendlich das entscheidende Kriterium im Storchenleben.
Ab hier beginnt die aktualisierte Fortschreibung. Es werden nach und nach die Bilder eingefügt.
2020:
Am 26.02.2020, um 12.40 Uhr landete ein unberingter Storch auf dem Nest.
Schon bald begann er mit der Nestpflege (Abb.: 41).
Abb.:41
Wie die nachfolgenden Beobachtungen zeigten, war es mit einiger Wahrscheinlichkeit wieder unser langjähriger “Stammgast”, nämlich Laternus, alias der Laternenstorch.
Am Nachmittag des 01.03.2020 stellte sich eine Gefährtin ein.
Am rechten Bein erkannte ich einen Ring (Abb.: 42).
Abb.: 42
Die Vorjahrsgattin, die Wienhäuserin, war das offensichtlich nicht, denn die trägt ihren “Vogelwarten-Ausweis” links.
Der Ring-Code wies die Neue als “Ostdeutsche” aus, denn die ersten drei Buchstaben lauteten DEH.
Das ist das Kürzel der Vogelwarte Hiddensee mit Sitz in Güstrow in Meck-lenburg-Vorpommern.
Als weitere Symbole folgten: HH893 (Abb.: 43).
Abb.: 43
Die Dame kannte ich schon.
Bereits am 18.05.2018 und am 02.08.2019 hatte ich sie bei Kurzbesuchen abgelesen,.
Die rechte Leidenschaft wollte sich allerdings zwischen den beiden “Neu-vermählten” nicht einstellen.
Kopulationen beobachtete ich selten und nach gemeinsamen Ausflügen kam Laternus oft allein zurück.
Auf seine Partnerin musste er dann manchmal stundenlang warten.
Am Abend des 07.03.2020 flogen drei Störche das Nest an.
Zwei landeten und klapperten gemeinsam.
Der dritte strich am Nest vorbei und verschwand in östlicher Richtung.
Am nächsten Tag stellte sich heraus, dass ein Partnerwechsel stattgefunden hatte.
Mit Laternus “schäkerte” und “turtelte” eine Neue oder besser die “Alte”, nämlich DEW 7X963, die Wienhäuserin, die Partnerin des Vorjahres (Abb.: 44 und 45).
Abb.: 44
Abb.: 45
Mit Temperament und Eifer wurde nach Storchenart fleißig Hochzeit gefeiert, und das mehrmals täglich (Abb.: 46).
Abb.: 46
Am 26.03.2020 waren die “Flitterwochen” jedoch zu Ende.
Von diesem Tage an wurde ernsthaft und zuverlässig gebrütet.
Am 31.03.2020 wäre es allerdings beinahe zu einem dramatischen Ende der diesjährigen Familienplanung unseres Storchenpaares gekommen.
Noch heute steigt meine Pulsfrequenz, wenn ich mir die Bilder der Geschehnisse dieses Abends anschaue.
Mein Sohn, mein Großsohn und ich stehen in unserer Wiese, schauen aufs Nest und diskutieren die Brutaussichten.
Auf dem Nest sitzt ein Altstorch – wie sich im Verlauf des Geschehens herausstellt, ist es DEW 7X963 (s. Abb.: 49) – und wärmt das Gelege.
Laternus ist noch unterwegs auf Nahrungssuche.
Das ist keineswegs fahrlässig, sondern sehr vernünftig.
Den Altstörchen steht eine magere Zeit bevor, nämlich dann, wenn die stets hungrigen Mäuler des Nachwuchses gestopft werden müssen.
Da bleibt nicht viel für den eigenen Bedarf.
Da ist es klug, einige Reserven anzulegen.
Es verspricht, ein beschaulicher Abend zu werden.
Doch plötzlich ist es mit der Ruhe vorbei.
Drei Fremdstörche fliegen das Nest an. Alle sind unberingt.
Zwei von ihnen landen auf der nahegelegenen Douglasie, einer auf einem Dachfirst unseres Nachbarn Otto Hagemann.
Die Störchin sitzt tief geduckt in der Nestmulde, lugt über den Nestrand und beobachtet aufmerksam das Geschehen.
Zunächst bleibt alles ruhig.
Doch dann startet der “Dachstorch” zur ersten Attacke (Abb.: 47).
Abb.: 47
Dann folgen aufregende, stressige Minuten.
Das gilt übrigens nicht nur für die wackere Störchin, sondern auch für die menschlichen Zuschauer am Boden, die nicht eingreifen und nicht helfen können.
Sie zittern, bangen und hoffen, dass oben im Nest das kostbare Gelege nicht zerstört wird.
Aber auch um die “Mama” sind wir besorgt, denn Storchenschnäbel sind spitz. Sie können zielgenau und mit erheblicher Kraft bei Nestkämpfen eingesetzt werden und tödliche Verletzungen bewirken.
Die beiden “Douglasienstörche” halten sich zurück und beschränken sich auf die Zuschauerrolle und klappern Beifall (Abb.:48).
Abb.: 48
Der “Dachstorch” aber startet immer wieder zu energischen Angriffen, nur unterbrochen von kurzen Verschnaufpausen (Abb.:49).
Abb.: 49
(s. Ring der Wienhäuserin)
DEW 7X963 wehrt sich verzweifelt, kann aber nicht verhindern, dass der Fremdstorch einige Male das Nest “entert” (Abb.: 50 u. 51).
Abb.: 50
Abb.:51
Unter Einsatz aller Kräfte gelingt es ihr aber immer wieder, den hartnäckigen Angreifer vom Nest zu drängen (Abb.: 52).
Abb.: 52
Wo aber bleibt Laternus?
Der ist aber offenbar in weit entfernten Jagdgründen unterwegs, sonst hätte er schon längst eingegriffen.
Dann endlich – die “Schlacht tobt” bereits seit fast einer 3/4 Stunde – “rauscht” aus östlicher Richtung ein Storch heran.
DEW 7X963 hat ihn offenbar schon von weitem erkannt, denn er darf ungehindert landen.
Es folgt ein heftiges Klapperkonzert, begleitet von lebhaftem Flügelschlagen (“Rudern”).
Die Freude ist groß.
Endlich! – Der Retter ist da!
Und der zaudert auch nicht lange.
Der “Dachstorch” bekommt als erster die Wut des Hausherrn zu spüren. Wie ein Ungewitter kommt es über ihn.
Heftige Schnabelhiebe treiben ihn von seinem Sitzplatz.
Aber auch im Luftkampf muss er noch einiges einstecken.
Hastig rudert er davon.
Die beiden Douglasienstörche schauen zunächst interessiert zu.
Einer der beiden merkt jedoch rechtzeitig, dass es besser ist, sich “aus dem Staub zu machen”.
Der andere hat den richtigen Zeitpunkt verpasst.
Dass er sich an den Aggressionen nicht beteiligt hat, hilft ihm nicht.
Auch er bekommt, wenn auch unverdientermaßen, heftige Prügel.
Nach seinem “Rachefeldzug” kehrt Laternus zum Nest zurück und feiert mit seiner Gattin einen lautstarken, lebhaften Triumph.
Wir Zuschauer freuen uns mit den beiden, aber uns plagt die besorgte Frage:
Wie sieht es wohl oben in der Nestmulde aus?
Hat sich das Gelege womöglich in “Rührei” verwandelt?
In den folgenden Tagen konnten wir aber registrieren, dass sich am Brut-verhalten des Storchenpaares nichts änderte.
Das Nest war ständig von zumindest einem Partner besetzt und die Ab-wechselung fand in routinierter Weise statt.
Das war ein Hinweis darauf, dass zumindest ein Ei das Kampfgetümmel unversehrt überstanden hatte.
Auch danach gab es noch einige unwillkommene Besuche von Fremdstörchen.
Der Ablauf verlief allerdings eher harmlos.
Ernsthafte Angriffe wurden nicht mehr beobachtet.
“Drohklappern”, Flügelgelschlagen, Zischen und Fauchen reichten aus, um die lästigen “Interessenten” auf Distanz zu halten.
Wenn beide Partner “zu Hause” waren, flog Laternus zu Beginn noch ein paar rasante Angriffe.
Schließlich unterließ er auch das.
Man kannte sich offenbar und respektierte einander.
Auch die “Erstgattin”, DEH HH893, ließ sich mit einem neuen Partner mehrfach blicken.
Auf dem Gipfel der dem Neststandort nahe benachbarten Douglasie haben die beiden sogar kopuliert, ohne dass diese “Dreistigkeit” bestraft worden wäre (Abb.: 53).
Abb.: 53
(Ring: DEH HH 893)
Wie ich später erfuhr, haben die beiden kein eigenes Nest bezogen und nicht gebrütet. Der Grund dafür ist mir nicht bekannt.
Bei einem “Solobesuch” durfte DEH HH893 sogar unbehelligt auf dem First des Werkstattdaches bis direkt unter das Nest spazieren.
Am 28.04. ist das erste Küken geschlüpft.
Die direkte Beobachtung war zwar nicht möglich, aber Eischalen unter dem Nest (Abb.: 54)
Abb.: 54
und die Aufnahme von Futterresten aus der Nestmulde konnten als sichere Indizien gewertet werden.
Erst ab dem 15.05.2020 konnte die Zahl der Küken einigermaßen sicher bestimmt werden:
Wieder einmal waren es “nur” zwei Exemplare (Abb. :55).
Abb.: 55
Vielleicht ist es aber sogar erfolgversprechender, zwei gut genährte, kräftige Jungstörche auf die weite Reise ins Winterquartier zu schicken, als drei, vier oder gar fünf magere “Schmachthaken”.
Mein Sohn ist überzeugt, einige Tage vorher noch ein drittes, deutlich zier-licheres Storchenkind gesichtet zu haben.
Das ist ohne weiteres denkbar, denn schwächliche, kranke oder bereits verendete Storchenküken verschwinden gelegentlich spurlos auf eine für menschliche Moralvorstellungen entsetzliche Weise.
Sie werden nämlich von den Eltern ohne Gewissensbisse verspeist.
Diese Form der “Entsorgung” ist für die Jungenaufzucht der Störche von Vorteil:
Die vitaleren Küken werden vor Ansteckung geschützt und können besser versorgt werden.
Zudem bleiben die in die “Kümmerlinge” investierten Nährstoffe der Familie erhalten.
Die Küken wuchsen frisch heran und schauten oft aufmerksam und neu-gierig über den Nestrand (Abb.: 56).
Abb.: 56
Nicht nur Fremdstörche musterten im Vorbeiflug in die Familienidylle.
Auch eine Rauchschwalbe zeigte offenbar einiges Interesse für ihre großen Verwandten (Abb.: 57).
Abb.: 57
Auch in diesem Sommer gab es wieder reichlich heiße, sonnige Tage.
Mit weit aufgesperrten Schnäbeln hechelten die Küken, um sich etwas Kühlung zu verschaffen (Abb.: 58).
Abb.: 58
Oft war der Durst größer als der Hunger (Abb.: 59).
Abb.: 59
(Trinkwasserübergabe)
Geregnet hat es aber auch hin und wieder (Abb.: 60).
Abb.: 60
Ab Mitte Juni wurde fleißig Flugtraining betrieben (Abb.: 61).
Abb.: 61
Am 06.07.2020 geschah es dann, das große, für jedes Storchenleben einmalige Ereignis:
Der erste Flug.
Er verlief ohne Komplikationen. Start, Freiflug und sogar die Landung auf dem Nest klappten “wie am Schnürchen”.
In den Folgetagen übten die beiden fleißig weiter.
Oft waren sie dann stundenlang unterwegs.
Auf dem Nest verwandelten sie sich allerdings beim Anflug eines der Elternvögel wieder in kläglich bettelnde “Kinder” (Abb.: 62).
Abb.: 62
Die “Abnabelungstendenzen” waren jedoch nicht mehr zu übersehen.
Besonders nachts war die Familie auf Trennung bedacht:
Die beiden Jungstörche auf dem Nest, die “Mama” auf der Douglasie und der “Papa” auf “seiner” Straßenlaterne.
Nur einmal noch, in der in der Nacht vom 23. auf den 24.07.2020, war die ganze Familie auf dem Nest vereint (Abb.: 63).
Abb.: 63
(2020.07.23, 04.55 Uhr)
Die Lichtverhältnisse ließen kein besseres Foto zu.
Am folgenden Tag sind die Jungstörche am Vormittag abgeflogen und ha-ben sich danach nicht mehr blicken lassen.
Laternus und die Wienhäuserin haben das sommerliche Wetter und ihre neugewonnenen Freiheiten noch eine Weile genossen.
Tagsüber waren sie fast immer “auf Reisen”.
Abends kehrten sie oft erst gegen 21 von ihren Ausflügen zurück.
Am 30.08.2020 um 19.45 Uhr gaben die beiden ihren letzten Fototermin und am 31.08. 2020 sind sie in aller Frühe aufgebrochen und haben sich gleichzeitig auf die Reise ins Winterquartier gemacht.
Irgendwann werden sie den persönlichen Kontakt verloren haben.
Erst im nächsten Frühjahr besteht Aussicht auf ein glückliches Wieder-sehen.
2021:
Am frühen Vormittag des 24.Februar landete ein unberingter Storch auf dem Nest.
Er schaute sich um, zischte und klapperte langanhaltend.
Sehr selbstbewusst und sicher trat er auf.
Für mich war sofort klar: Das muss unser „guter, alter“ Laternus sein, der seinen gewohnten „Sommersitz“ auch für das Jahr 2021 in Anspruch nehmen will.
Einen sicheren Beweis dafür gibt es allerdings nicht, denn einen Ring trägt er nicht und ein für ihn typisches Körpermerkmal fehlt.
In den folgenden 2 Wochen passierte wenig Aufregendes.
Laternus war tagsüber für längere Perioden präsent, musterte den „Luftraum“ (Abb.: 64),
Abb.: 64
klapperte häufig (Abb.: 65),
Abb.: 65
döste vor sich hin (Abb.: 66),
Abb.: 66
nutzte die Douglasienspitze als Steh- bzw. Liegeplatz (Abb.: 67 und 68),
Abb.: 67
Abb.: 68
spazierte auf dem Grundstück umher (Abb.: 69)
Abb.: 69
und trug von dort Nistmaterial ein.
Am frühen Nachmttag des 13. März änderte sich die Situation.
Zwei Störche standen auf dem Nest.
Einer der beiden trug einen Ring, und zwar links, oben (Abb.: 70).
Abb.: 70
Ich konnte die Nummer ablesen: DEW 7X963 (Abb.: 71).
Abb.: 71
Hurra! Sie ist wieder da, die Wienhäuserin.
Diesmal hatte ihr „Schatz“ die Wartezeit ohne flüchtige voreheliche Bezie-hungen zubringen müssen. War das großmütiger Verzicht oder gab es kei-ne günstigen Gelegenheiten?
Egal, die „alte“ Liebe flammte sofort wieder auf.
In der nächsten Zeit registrierte ich täglich längere gemeinsame Ausflüge.
Ich vermute, dass sie der Nahrungssuche galten, vielleicht aber auch der Erkundung und Kontrolle der Storchen-Nachbarschaft.
Dazwischen lagen Ruhephasen auf dem Nest. (Abb.: 72)
Abb.: 72
mit ausgiebigem “Probesitzen”.
Das gilt insbesondere von DEW 7X963 (Abb.: 73).
Abb.: 73
Aber auch die Vorbereitungen auf eine erfolgreiche Brut wurden nicht vernachlässigt:
Der Nestausbau, d. h. der Antransport (vorwiegend Laternus) und Einbau (gemeinsam) von “Gerüst”- (z. T meterlange, verästelte Zweige) und Polster-Material (Moos, trockene Gras-Tunsen z. T. mit Erdanhaftung), wurde mit noch größerem Eifer betrieben.
Dazu demonstrierten mehrere Kopulationen im Tagesverlauf die innige Zuneigung des Paares und den Wunsch auf Nachkommenschaft.
Gelegentlich störten Fremdstörche den Frieden, aber temperamentvolle Abwehrreaktionen (klappern, “rudern”, “fauchen”) hielten sie auf Distanz.
Ernsthafte Angriffe habe ich nicht beobachtet.
Seit dem 30. März war jedoch immer ein Partner auf dem Nest präsent und saß die meiste Zeit in der Nestmulde.
Ein deutlicher Hinweis darauf, dass das erste Ei lag im Nest lag.
Am 1. Mai habe ich ein eigenwilliges Brutverhalten seitens der Wienhäuserin beobachtet.
Bislang war es stets so, dass bei einer Ablösung gleich nach der Rückkehr der Partnerin bzw. des Partners der jeweilige Brutstorch sich gemächlich erhob und gemeinsam mit der “Heimkehrerin” bzw. dem “Heimkehrer” eine kurze gemeinsame Klapperzeremonie zelebrierte.
Danach erfolgte unverzüglich der Abflug der Brüterin/des Brüters, wäh-rend das Niederhocken der Ablöserin/des Ablösers in aller Regel erst nach eingehender Inspektion des Nestmulde geschah.
Diesmal änderte sich der Ablauf in auffälliger Weise.
Laternus kehrte von seinem Asusflug zurück.
Nach seiner Landung stand DEW 7X963 auf, es folgte auch kurzes Begrüßungsklappern, dann aber hockte sie sich – wie es mir schien nicht nur zu meiner, sondern auch zur Überraschung ihres Partners – gleich wieder hin.
Etwas “bedeppert” stand Laternus zunächst da, flog schließlich ab, kehrte aber nach einer Flugrunde zum Nest zurück.
Der Ablauf wiederholte sich jedoch in gleicher Weise.
Die „Mama“ war offenbar nicht bereit, “wie es sich eigentlich gehörte”, ihre derzeitige Position abzugeben.
Schließlich wechselte Laternus auf seinen derzeitigen Lieblingsplatz, dem Douglasienwipfel.
Da stand er und blickte, wie es mir schien, ein wenig ratlos, zum Nest hinüber.
Gern hätte ich Laternus einen Tip gegeben.
Der 1. Mai würde nämlich als Schlüpftermin im Hinblick auf dem von mir angenommenen Brutbeginn, dem 30. März, bei bei einer Brutzeit von ca. 30 Tagen ganz gut passen.
Im zuerst gelegten Ei rührte es sich wohl.
“Mama” hatte Klopftöne vernommen oder andere Signale empfangen und fühlte sich dadurch noch stärker an ihre Brutaufgabe gebunden.
Diese entscheidende Phase war “Chefin-Sache”.
„Papa“ hatte sich zu gedulden.
Am 5. Mai gab es für mich Gewissheit: Laternus, der gerade „Innen-dienst“ hatte, erhob sich, stochert in der Nestmulde und warf anschließend kleine Partikel über den Nestrand.
Dann aber änderte er sein Verhalten und schleuderte das mit der Schnabelspitze Erfasste nicht weg, sondern beförderte es mit einer ruckartigen Bewegung des Kopfes in den Schlund und schluckte es hinunter.
Das waren Nahrungsreste, die einem bzw. mehreren Küken vorgelegt aber nicht verzehrt waren.
Aus Gründen der Nesthygiene wurden die Partikel zwar aus der Nestmulde entfernt, jedoch nach den Geboten der Nahrungsökonomie nicht einfach ins Freie entsorgt, sondern verzehrt. So blieben wichtige Ressourcen der Familie erhalten.
Nach dieser Beobachtung war ich mir sicher: Junges Storchenleben hockt im Nest – und das wahrscheinlich schon seit dem 1. Mai (s. dort).
Laternus zeigte es einmal wieder.
Er ist ein vollendeter Kavalier.
Er hat der jungen Mama zum “freudigen Ereignis” gratuliert und ihr ein Blumenpräsent mitgebracht (Abb.: 74).
Abb.: 74
Auch eine “Alte Bekannte” aus dem Vorjahr, die Störchin mit der Ringnummer DEH HH893, fand sich zu einem Gratulations-Besuch ein.
Geschenke hatte sie nicht dabei, dafür ihren unberingten Partner (Abb.: 75).
Abb.: 75
Wie es scheint, haben die beiden auch in diesem Jahr keine feste Bleibe gefunden.
Vielleicht aber scheuen sie auch die Gefahren der Nesteroberung und die die Mühen der Jungenaufzucht?
Ungebundenheit und “Freie Liebe” gefallen ihnen offenbar besser als häus-liche Gebundenheit und elterliche Pflichten.
Laternus hatte im Laufe des Frühjahrs wieder einmal reichlich Baumaterial herangeschleppt und die Nestumrandung damit deutlich angehoben.
Ein Einblick in die Nestmulde war deshalb von meinem Beobatungsposten nicht möglich.
Durch Beobachtungen von einem höheren Standort aus konnte mein Sohn allerdings recht früh die Existenz eines Zwillingspärchens nachweisen.
Ende Mai gelang dazu auch die fotografische Bestätigung (Abb.: 76).
Abb.: 76
Bei gewissenhafter Fürsorge und Pflege der Eltern waren bis Mitte Juni die beiden Storchenkinder prächtig herangewachsen (Abb.: 77).
Abb.: 77
Ab Ende Juni begannen die ersten ernsthaften Flugübungen (Abb.: 78).
Abb.: 78
Auch Nestpflege stand bereits auf dem Stundenplan (Abb.: 79).
Abb.: 79
Der Appetit des beiden Küken wuchs selbstverständlich mit ihrer Größe und, abgesehen von kurzen Nestpausen, waren die Eltern von früh bis spät in ihrem Jagdrevier unterwegs. Auch klare, mondhelle Nächte wurden zum Beutefang genutzt.
Die Gelegenheit zu einem „Familienfoto“ ergab sich deshalb nur selten (Abb.: 80).
Abb.: 80
Anfang Juli erreichte das Übungsprogramm seinen Höhepunkt.
Die ersten Luftsprünge wurden gewagt (Abb.: 81).
Abb.: 81
Am 12. Juli konnte ich den ersten Start eines Jungstorchs beobachten.
In westlicher Richtung flog er ab und verschwand dann hinter den Häu-sern.
„Ob der wiederzurückfindet?, fragte ich mich.
Eine lange, für mich bange Minute verging, da “tauchte” er aus südwestli-cher Richtung kommend in etwas wackeligem Flugstil wieder auf und steuerte das Nest an.
Die Landung gelang, wenn auch etwas “holperig”, beim ersten Versuch.
Die letzten Meter bis zum Ziel klapperte er sogar wie ein “Alter”.
Dieses Verhalten habe ich beim Erstflug eines Jungstorchs noch nie be-obachtet. Bislang galt deren Konzentratration allein der – hoffentlich – einigermaßen glücklichen Landung.
Während ich in die Hände klatschte, schloss sich ein anderer interessierter Zuschauer, nämlich “Papa“ Laternus, der sich gerade auf dem Nordgiebel von Otto Hagemanns Kuhstall eine kleine Pause gönnte, meinem Beifall durch anerkennendes Klappern an.
Am 27. Juli, abends gegen 19 Uhr, standen auf dem Nest 3 Störche:
Auf dem Rand Laternus und in der Mulde „unsere“ beiden Jungstörche. So schien es mir zumindest auf dem ersten Blick.
Aber etwas passte nicht ins gewohnte Familienbild.
Laternus wirkte unbeteiligt, eher abweisend und wurde nicht angebettelt.
Dann attackierte einer der Jungstörche den anderen.
„Was ist da los“? fragte ich mich.
Geschwisterstreit?
Der angegriffene Jungstorch flog ab und landete auf dem Dachfirst von Kirchvordener Str. 51.
Aus östlicher Richtung eilte zur gleichen Zeit ein weiterer Storch heran.
Er landete auf dem Nest, wurde geduldet und bettelte um Futter.
Als ich mich umschaute, ließen sich fast gleichzeitig 3 weitere Störche auf dem Dachfirst von Kirchvordner Str. 51 nieder.
Schließlich wurde auch der Gipfel der gekappten Douglasie von der erst gegen 20 Uhr heimkehrenden Wienhäuserin besetzt.
Nach und nach klärt sich die Geschichte auf.
Auf der Douglasie stand das Brutpaar und schmuste (Abb.: 82).
Abb.: 82
Auf dem Nest dösten unsere beiden satten Jungstörche (Abb.: 83).
Abb.: 83
Das Wartburgdach schließlich war besetzt mit 4 Fremdstörchen (Abb.: 84).
Abb.: 84
Sicherlich waren es Jungstörche, die im Land herumvagabundieren, heute hier und morgen da.
Manchmal wird dabei sogar versucht, auf einem fremden Storchennest etwas Futter “abstauben”?
Bei uns hatte das “Nassauern” heute aber nicht geklappt.
Doch immerhin, Laternus war milde gestimmt.
Er gewährte dem Besuch Nachtlager.
Am Abend des nächsten Tages setzte sich die „Storcheninvasion“ fort.
Allerdings „mieteten“ es diesmal nicht 4 sondern “nur” 3 „Schlafgäste“ ein.
Am 31. Juli sind die beiden Jungstörche am Vormittag abgeflogen und haben sich danach nicht mehr blicken lassen.
Wahrscheinlich haben sie sich einer „Jugendgruppe“ angeschlossen und sind mit dieser Gesellschaft gemächlich in südwestliche (Westzieher) oder südöstliche (Ostzieher) Richtung „abgedriftet“.
Die Wienhäuserin und Laternus genossen die Nachbrutzeit noch fast den ganzen August hindurch.
Frei von allen Verpflichtungen waren sie tagsüber zumeist “auf Reisen”.
Nach manchmal recht später Heimkehr übernachteten sie regelmäßig gemeinsam auf dem Nest.
Die kurzen Nestaufenthalte am Tage nutzten sie in unterschiedlicher Weise:
Körperpflege (Abb.: 85),
Abb.: 85
Abwehr (Abb.: 86),
Abb.: 86
Schmusen (Abb.: 87)
Abb.: 87
und Nestpflege (Abb.: 88).
Abb.: 88
Zu einem Abschiedsfoto hatte ich Vormittag des 30. August Gelegenheit (Abb.: 89).
Abb.: 89
Danach haben sie noch einmal gemeinsam übernachtet.
DEW 7X963 ist im Laufe des folgenden Tages abgezogen.
Laternus hat noch zwei Tage “drangehängt” und allein übernachtet.
Am 01. September hat auch ihn die Reiselust gepackt.
Damit war das Storchenjahr 2021 zu Ende.
Mitte Dezember erhielt ich die Nachricht, dass DEW 7X963, die Wienhäuserin, am 20. September 2021 in Pinto, in der Nähe von Madrid auf der dortigen Abfalldeponie abgelesen worden ist.
Die Vöhrumer Brutstörchin der vergangenen Jahre gehört also zur “Reisegruppe” der “Westzieher”.
Ob sie in Zentralspanien längere Zeit verblieben ist und dort überwintert hat oder ob sie weitergezogen ist, die Meerenge von Gibraltar überquert und schließlich sogar Afrika “erobert” hat, konnte ich nicht in Erfahrung bringen.
Ich hoffe jedoch, dass sie alle Fährnisse gesund übersteht und im Frühjahr 2022 bei uns wieder “auftaucht”.
Brutstatistik:
Auf dem im Jahre 2003 bereitgestelltem Horst sind inzwischen 19 Jungstörche herangewachsen:
2006: 2
2013: 2
2014: 2
2015: 2
2016: 2
2017: 1
2018: 2
2019: 2
2020: 2
2021: 2
Summe: 19 Jungstörche
Wieviel davon noch leben und wo sie sich möglicherweise angesiedelt haben, ist mir nicht bekannt, denn sie wurden mit Ausnahme des “Hagelopfers” aus dem Jahre 2013, von dessem traurigen Ende ich berichtet habe, nicht beringt.
Hermann Hagemann
Ringstörche auf Kirchv. Str. 51
Nr. Ring-Nr. Sitz Ablesung Beringung Beringung
Dat. Dat. Ort
01. 025 P re u 2003.08.04. Besuch 1995 Leiferde/Gifhorn
Germania
Helgoland
02. DEW 1X865 li u 2006.05.08. Brut 2004 Berne/Glüsing
2007 Besuche
03. 6257 re o 2007.04.23. 2 Tage 2004 Zegveld/Utrecht
Arnhem
Holland
04. AGCP re o 2008.04.16. x Tage 2006 Waltenheim/Straßburg
CK 0799 li o (kleiner Alu-Ring)
05. DEW 2X980 li o 2009.04.14. Besuche 2006 Hille-Mindenerwald
2010.03.22. Besuche
2011.03.28. Besuche
2012.03.11. Besuche
06. DEW 6X301 re o 2010.03.28. Besuch 2008 Grafhorst/Gifhorn
07. DEH H5193 li o 2010.07.25. Besuch 2006 Wulferstedt/Magdeburg
2011.04.23. Besuche
08. DEW 7X654 re o 2012.03.26. Besuche 2010 Neuenhaßlau/Gelnhausen
09. DER A9772 re o 2012.03.31. Besuche 2010 Budenheim/Mainz
10. DEW 6X492 re o 2012.04.02. Besuch 2010 Leiferde/Gifhorn
2013.04.01. Besuch
11. DEW 7X519 re o 2013.06.23. Besuch 2010 Heiligendorf/Wolfsburg
12. DEW 4X789 re o 2014.03.07. Besuche 2009 Hönisch/Verden
13. HES SA 407 re o 2016.03.07. Besuch 2003 Warth/Thurgau/Schweiz
14. DEW 9X290 re o 2016.03.07. Besuche 2012 Salzderhelden/Einbeck
2017.02.24. Besuch
2018.03.05. Besuch
15. DEW 1T700 li o 2017.02.27. Besuch 2013 Röttgesbüttel/Gifhorn
16. DER AU872 re o 2017.03.28. Brut 2015 Reichertshofen/Pfaffenhofen
17. DEW 4T078 li o 2017.04.16. Besuch 2015 Bensheim/Auerbach/Bergstr.
Nr. Ring-Nr. Sitz Ablesung Beringung Beringung Ort
Dat. Dat. Ort
18. DEW 7X759 re o 2018.03.15. 11 Tage 2010 Herborn-Uckersdorf/Lahn
19. DEW 0X853 re o 2018.03.22. Besuch 2014 Minden/Todtenhausen
20. DEW 7X963 li o 2018.03.26. Brut 2013 Wienhausen/Celle
2019.03.21. Brut
2020.03.08. Brut
2021.03.13. Brut
21. DEH HH893 re o 2018.05.18. Besuch 2012 Wassensdorf/Oebisfelde
2019.08.02. Besuch
2020.03.01. Besuche
2021.02.24. Besuche
22. DEW 4T785 li o 2018.05.20. Besuch 2015 Northeim-Hollenstedt
23. DEW 7T969 re o 2020.04.17. Besuch 2018 Wahrstedt/Velpke
24. DEW 3T310 li o 2020.04.30. Besuch 2015 Dauelsen/Verden
25. DEW 7T977 re o 2021.05.17. Besuch 2018 Wolfsburg/Velstove
Die Ringstörche DEW 1X865 (Männchen 2006), DER AU872 (Weibchen 2017) und DEW 7X963 (Weibchen 2018, 2019,2020,2021) haben auf dem Vöhrumer Nest Brut aufgezogen.
Wie die Liste der abgelesenen Ringe zeigt, haben das Vöhrumer Storchennest und die umliegenden Gebäude im Laufe der Jahre in der regionalen, überregionalen und sogar in der internationalen Weißstorchpopulation einiges Interesse gefunden.
Wenn ich zugleich bedenke, dass die weitaus größte Anzahl der derzeit lebenden Weißstörche keinen Ring trägt, kann ich davon ausgehen, dass noch weit mehr „exotische“ Besucher dem Nordostwinkel Vöhrums zumindest einen Kurzbesuch abgestattet haben.
Durch die weitere Nutzung der Seite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen
Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn Sie diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwenden oder auf "Akzeptieren" klicken, erklärst Sie sich damit einverstanden.